Königsmord
„Dein Zug“, bedächtig nahm er seine Hand zurück, um mir den Blick auf das schwarz-weiße Spielfeld zu ermöglichen. Grinsend erkannte ich, dass sein letztes wildes Pferd komplett ungeschützt auf einem der dunklen Flecken Holz ruhte und nur darauf wartete, von meinem Springer eingefangen zu werden. „Du machst es mir zu leicht.“ Betont langsam schob ich die filigran geschliffene Figur über das Brett, um dem stolzen Tier ein Halfter anzulegen und es der Sammlung beizufügen, die sich bereits vor meinem Spielplatz bildete.
„Dein Zug“, wiederholte ich seine Worte mit einer sachten Spur von Sarkasmus. Überrascht blickte er mich an, durchschaute meine Überlegenheit. Er hob eine Hand in Richtung seines Kopfes, um sich, wie üblich wenn er nicht weiter wusste, durch das blonde Haar zu fahren. Er war hübsch. Viel hübscher, als ich es mit meinen schmalen, dunklen Augen und den schwarzen Strähnen jemals sein könnte. „Ich weiß nicht“, murmelte er, schob dabei lustlos einen Bauern voran. Mein Grinsen verbreiterte sich. „Man schickt keine einfachen Leute vor, Bruder.“ Sofort eilte der Springer erneut zur Stelle, um auch diesem Geopferten Ketten anzulegen und ihn zu den anderen schwarzen Figuren in meiner Gefangenschaft zu führen. „Ich habe keine Lust mehr“, begann er zu nörgeln, schob ohne einen Gedanken an seine Tat zu verschwenden, einen weiteren Bauern dem Tod entgegen.
Wut erhielt Einzug in meinen Körper.
Ich hasste seine Art. Diese Bequemlichkeit, dieser fehlende Kampfgeist, diese mindere Intelligenz.
Er war es nicht wert ein König zu sein.
Unbemerkt schob ich eine Hand unter mein Gewand. Sie umfasste fest den schmalen Griff einer geschliffenen Klinge.
„Lass uns diese Partie noch beenden.“
Ich schickte eines meiner Pferde in den Kampf, schob es auf seine dunklen Figuren zu. Er rückte den Bauern näher. Mein Blut begann die Normaltemperatur zu überschreiten, so sehr wurde es von meiner Abscheu gegenüber diesem Menschen gekocht. „Gib dir ein bisschen Mühe“, säuselte ich freundlich, biss mir danach auf die Zunge, um den widerwärtigen Geschmack der Worte loszuwerden. Meine Dame machte einen bedrohlichen Schritt voran. Es folgte eine Bewegung des Bauern. „Du gewinnst immer. Bist du damit nicht zufrieden?“, mein Gegner ließ seinen Finger auf der schwächlichen Figur ruhen.
Ruckartig zog ich das Messer hervor und stieß es in seine flache Hand. Das Spiel krachte in sich zusammen, die Spitze des silbernen Werkzeuges bohrte sich hindurch. „Glaubst du wirklich, dass ich zufrieden bin, Bruder?“ Sein schmerzerfüllter Schrei übertönte meine abfälligen Worte. Kraftvoll zog ich die Klinge aus seinem Fleisch, nur um erneut ungehalten zuzustoßen. Rot färbten sich Figuren und Brett.
„Wie soll ich noch länger leben mit einem König, mit einem Bruder wie dir?“
Ich sprang auf, beugte mich seinem Angst verschleierten Gesicht entgegen.
Mit einem lauten Klirren, das allen Lärm übertönte, schlug meine weiße Königsfigur auf den Fliesen unter unseren Füßen auf.
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