Krankenhauslichter
Meine rechte Hand umklammert die eiskalte Türklinke, sodass man das Weiße an den Knöcheln sieht. Der Ring auf dem Mittelfinger bohrt sich unangenehm in meine Haut. Doch mein Blick haftet angespannt auf dem vergilbten Türschild. Darauf steht in großen, schwarzen Buchstaben: Zimmer 36. Bei Ziffer 3 blättert die Farbe ab und weiße Kratzer bilden ein unsymmetrisches Muster. Bevor ich das Zimmer meiner Patientin betrete, atme ich tief ein und aus. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen betrete ich den Raum. In dieser Sekunde steigt mir der süßliche und durch alle Poren dringende Gestank nach Krankheit und Tod in die Nase. Für Hintergrundgeräusche sorgen die zahlreichen Geräte die an der linken Seite des Raumes, die so viel Platz einnehmen, als wollen sie die Dringlichkeit und Vergänglichkeit zugleich untermauern. Das regelmäßige und mechanische Piepen der Überwachungsmonitore erinnern an das unermüdliche Ticken einer Uhr. Tick-Tack-Tick-Tack, als würden sie die Sekunden zählen bis es vorbei ist. Mein Blick wandert zu den Fenstern - wenig Licht von draußen, kein herrlicher Frühlingstag für drinnen. Die einzigen Lichtquellen sind die stimmungslosen und kalten Krankenhauslichter. Nur ein paar mutige Sonnenstrahlen bilden am Boden ein unruhiges Muster. Die Zimmerwände verraten, ohne Versuch es zu verbergen, das Alter ihrer Selbst. Große und kleine Risse bedecken die gesamte Fläche, die an Sorgenfalten erinnern. Apropos Sorgenfalten, die bilden sich augenblicklich auf meiner Stirn, als mein Blick auf das Krankenbett fällt. Es ist groß, steril und unpersönlich. Auch auf dem Nachtkästchen fristet unangetastetes Essen sein trostloses Dasein. Da liegt sie, meine Patientin, von Infusionen und Schläuchen übersäht, eingefallen und erschöpft. Ihr Körper ist klein und zerbrechlich, die Chemotherapie hat ihr die letzte Kraft genommen. Auf ihrem Kopf schmiegt sich eine bunte Wollmütze an, um ihre kahle Haut zu wärmen. Das kleine Mädchen scheint zu schlafen, ihr Atmen geht rasselnd und unruhig. Wird ihre Lebensuhr bald aufhören zu ticken? Ist es bald Zeit zu gehen? Aber wohin? Wird sie das sagenumwobene Licht am Ende des Tunnels erblicken oder gibt es noch keine Ende für sie? Ist das Ende nicht eigentlich ein Halten des Versprechens, was wir am Anfang eingegangen sind? So fühlt es sich zumindest an.
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