KREATIVITÄT IST ENDLICH!
Liebe Menschen in der Zukunft,
wenn ihr diesen Brief findet, hoffe ich, die Welt sieht bei euch anders aus, als bei mir jetzt.
Was bedeutet „neu“? Wisst ihr es? Bis vor kurzem kannte ich dieses Wort nicht. Man benutzt dieses Wort im täglichen Sprachgebrauch nicht. Gestern habe ich dieses Wort zum ersten Mal gehört. In unserer Welt, im Jahr 7000, gibt es kein „neu“. Ironischerweise ist das Wort neu, das neuste, was ich in letzter Zeit gelernt habe.
Wahrscheinlich denkt ihr euch, was ist aus den Schriftstellern geworden? Was ist aus den Modedesignern geworden? Wo sind die Musiker? Es gibt eine einfache Antwort: Sie sind ausgestorben.
Alle Ideen sind aufgebraucht. Die Kreativität ist aufgebraucht. In der Schule vergleichen wir das mit Schach. Einmal werden alle Züge schon gespielt sein. Jede Konstellation ausprobiert. Einmal wird die endliche Anzahl der Freiheit auf null schrumpfen. Dieses Einmal ist jetzt.
Es gibt keine Philosophie mehr. Das Fragen verliert den Reiz, wenn alles schon einmal von jemandem gefragt wurde, es aber noch immer nur Spekulationen gibt.
Einmal im Jahr, geschätzt, taucht jemand auf und sagt, er oder sie hätte eine Idee. Irgendetwas, ein Buch, ein Lied, ein Gedicht, ein Wort, etwas, was in unseren Köpfen entstanden ist und nicht durch Zufallsprinzip im Computer. Für eine kurze Zeit ist die Welt in Aufruhr. Alle sind aufgeregt und tanzen auf den Straßen. Aber egal, was es ist, es gab es schon. Plagiat. Ein Grundwortschatz auf dem Planenten Erde im Jahr 7000.
Hier lebe ich also. Hier bin ich also. Ich könnte meinen Namen verraten, aber das würde keinen Unterschied machen. Ich gehe auf einer Straße. Ich komme oft hierher, es fühlt sich an, als wäre ich alleine auf dieser Welt und könnte alles von neu anfangen. Eine lange Straße, so lange das Auge reicht, ist vor mir. Die Sonne scheint nicht. Es ist gespenstisch still.
Plötzlich habe ich das Bedürfnis zu rennen. Ich renne so schnell wie meine Beine mich tragen und schreie mir die Seele aus dem Leib. Diese Straße würde vielleicht für viele hoffnungslos erscheinen, aber für mich die Person, die Tag für Tag mit der Endlichkeit der Welt konfrontiert wird, ist diese Unendlichkeit ein Segen.
Schließlich komme ich an meinem Ziel an. Ein Bild, das zwischen zwei Stahlstangen eingeklemmt ist. Es ist Gustav Klimt, „Goldene Adele“. Ich setze mich hin und beginne, auf einem Blatt zu kritzeln. Ich zeichne mehrmals aufeinander die Umrisse der Frau in Gold. Es war jetzt etwas ganz anderes. Aber war es das? Ist das Neuland oder nicht? Nun frage ich, ist das etwas Revolutionäres, wenn man sich von jemandem inspirieren lässt oder nicht?
Ich frage mich, wie das wohl in der Zukunft aussieht. Ich hoffe, die Menschheit lernt den Wert von Kreativität, selbst, wenn es etwas ist, das kopiert wurde und ein bisschen verändert.
Liebe Grüße,
Ich
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