Kriminell
Schon als kleiner Junge war mir klar, dass ich nicht so leben wollte wie die anderen. Um sieben aufstehen, von acht bis fünf in der Arbeit, nachhause kommen, zu Abend essen und dann pünktlich um zehn ins Bett. Ich träumte schon immer von großem Reichtum und viel Macht. Meine Familie hatte nie wirklich Geld, und wenn meine Eltern mal an welches kamen, dann wurde es gleich für Drogen oder für ́s Zocken ausgegeben. In der Schule war ich nie gut. In den seltenen Fällen, in denen ich überhaupt dort war, störte ich den Unterricht, hörte nicht zu oder habe geschlafen. Deswegen wunderte es mich auch nicht, als ich nach meiner vollendeten Schulpflicht aus der Schule flog. Besser für mich, dachte ich mir, ich mochte sowieso niemanden in dieser Schule. Ich hing viel lieber in meinem Freundeskreis ab, welcher aus zwei meiner drei Brüder und aus den Kindern in der Nachbarschaft bestand. Da wir in einem äußerst armen Viertel wohnten, hatten meine Freunde eine ähnliche Kindheit. Ich verbrachte den Großteil meines Lebens mit ihnen. Zuhause war ich nur, wenn ich auf meine kleinen Geschwister aufpassen musste, während meine Eltern wieder Tage lang ohnmächtig auf der Couch lagen, nachdem sie ihre „Medizin“ genommen hatten. Da ich weder einen Schulabschluss, noch die Aussicht auf einen Job hatte, folgten meine Freunde und ich dem Weg in die Kriminalität. Wir fingen an zu dealen. Zuerst nur mit Gras. Mit der Zeit auch mit härterem Zeug, da das deutlich lukrativer war. Doch nur durchs Verticken wurde man nicht reich. Ich holte mir von meinem ersten Geld eine Pistole auf irgendeinem Fußballplatz beim Dealer. Noch am selben Tag hielt ich sie an den Kopf vom Supermarktkassierer. Ich wurde immer gieriger und dadurch immer skrupelloser. Mit der Zeit machten wir uns einen Namen im Viertel und dadurch auch Feinde. 13. Oktober 2014: Mein kleiner Bruder war zum Verkaufen auf der südlichen Seite eingeteilt worden. Er bat mich, ob er einen anderen Posten übernehmen könne, da es dort in letzter Zeit immer wieder zu Schießereien kam, ausgehend von einer verfeindeten Bande. Da wir auf der südlichen Seite das meiste Geld machten und ich wusste, dass ich sonst niemanden von meinem Freunden dazu bringen kann, zu übernehmen, drohte ich ihm, dass, wenn er nicht mit dem Geld zurückkommt, er draußen vor der Tür wird schlafen müssen. Dann kam es, wie es kommen musste. Er kam in dieser Nacht nicht nach Hause. Zuerst versuchte ich, mir einzureden, dass er bei jemand anderem schliefe, aber da ihm sowas nicht ähnlich sah, verschwand die Hoffnung mit der Zeit. Ich fand seinen Kopf am nächsten Tag vor meiner Haustür. Auch mein älterer Bruder sah ihn. Wenige Wochen später erhängte der sich. Unsere „Freundesgruppe“ teilte sich auf. Wir wussten, dass wenn wir weiter machten, wir auch sterben würden. Ich bin in eine andere Stadt gezogen, fand einen Job als Bürokaufmann und gründete eine Familie. Jeden Tag stehe ich um sieben Uhr auf, bin von acht bis fünf in der Arbeit, gehe nach Hause, esse zu Abend. . .
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