Kukuruz-Zeit
Als die Farbe aus dem Himmel in die Baumblätter zu weichen scheint, weiß ich, dass es Kukuruz-Zeit ist. Statt hellblauer Hitze und Sonnenlichtklarheit erfüllen nun Herbstbrisen die Luft und die Blätter färben sich langsam bunt.
Und dann ist da das Maisfeld. Das Maisfeld, so grün und schön wie der Spätsommertag, an dem wir uns zum ersten Mal getroffen haben. In dem wir beide gestanden haben, in den Händen gestohlenen Kukuruz und im Gesicht ein Grinsen, als wir einander angesehen haben. Später dann ein Lachen in der Luft, als wir beide gerannt sind, weg von dem Bauern, der uns beinahe erwischt hätte.
Dieser Tag war Licht. Und ich glaube, das ist das, was wir füreinander waren. Du warst ein silbriger Schimmer in der einsamen Dunkelheit meiner Nacht und ich war der Wind, der die Wolken von deinem Mond vertrieben hat.
Gemeinsam waren wir Mondstrahlen. Wir haben Kukuruz gegrillt und gelacht und uns gehalten. Unsere Farbtupfermomente geteilt, wenn in der Nacht die Sterne verdeckt wurden.
Dann ist dein Vater gestorben. Wir sind zu weit weg gewesen und zu langsam, um rechtzeitig ins Krankenhaus zu kommen. Um uns zu verabschieden.
Ich musste ja unbedingt auf Urlaub fahren.
Von heute auf morgen hat es sich verändert. Da waren keine Mondstrahlen mehr. Nur Mondstrahlenschatten.
Du hast mir die Schuld dafür gegeben, dass du nicht Auf Wiedersehen sagen konntest und ich habe dir das vorgeworfen und war nicht genug für dich da.
Eine Alkoholfahne war ab da nicht selten. Ich war wütend auf mich, weil ich es nicht geschafft habe, es zu verhindern und so waren wir wütend aufeinander und auf uns selbst und das sind wir immer noch nicht losgeworden.
»Geh bitte«, habe ich einmal zu dir gesagt. »Ich halte das nicht mehr aus, da ist kein Wir mehr. «
Und ich weiß, du weißt auch, dass es nicht gut ist, dass wir gehen sollten. Dass es nur noch dich und mich geben sollte, dein Ich und mein Ich.
Aber was ich gesagt habe, das stimmt nicht, denn es gibt noch ein Wir, ein Uns und genau das ist das Problem. Wir sind gemeinsam gefangen in unseren Mondstrahlenschatten, voller Angst vor dem, was da ohne sie wäre.
Denn wenn das Licht ausgeht, gibt es keine Schatten. Es gibt nur Dunkelheit.
Vielleicht ist diese Dunkelheit genau das, was wir brauchen. Vielleicht brauchen wir sie, um ein neues Licht strahlen lassen zu können.
Aber wir beide, wir kennen doch unseren Schatten, er ist uns vertraut und wir sind in ihm nicht allein. Zwar sagen deine Augen jedes Mal Geh bitte, wenn wir uns ansehen, doch ich kann es nicht, du musst es tun. Wenn du es kannst.
Ich atme tief ein, als ich dich auf dem Feld entdecke. Du pflückst keinen Mais, begutachtest ihn nicht, du stehst einfach nur da.
Ich mache ein paar zögerliche Schritte in deine Richtung, bleibe in deiner Nähe stehen. Da schweigen wir nun und hängen unseren Gedanken nach, während wir die langsam vertrocknenden Blätter um den Mais herum betrachten.
Und wir beide wissen: Die Kukuruz-Zeit ist bald vorbei.
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