Lass dich fallen
Das Sonnenlicht bricht, während es durch die dunklen Staubflocken tanzt. Ich unterdrücke es zu husten, obwohl mir der Ruß bald bis in die Lunge dringt. Mein Hals kratzt, als würden tausend Ameisen ihren Weg durch meine Luftröhre suchen, bis das Brennen unerträglich wird und ich dem einzigen Versuch der Linderung, dem Husten, nachgehe. Doch ich unterdrücke es, lasse den Schmerz von mir Besitz nehmen, bis mein Kopf dröhnt und meine Haut anfängt zu kribbeln.
Doch dann halte ich es nicht mehr aus, beuge mich nach vorne und versuche den ganzen Schmutz aus meiner Lunge zu befördern, habe das Gefühl ich würde mein Herz und meine Seele mitaushusten, bis sie zu einer labbrigen, roten, menschlichen Masse werden, die sich vor meinen Füßen ausbreitet. Doch diese Bilder spielen sich nur in meinem Kopf ab, denn alles was sich vor meinen Füßen befindet ist Luft, kleine Staubpartikel und das Licht.
Der Himmel spiegelt sich auf dem Wasser und es sieht so aus als wäre unter mir nichts, nur diese endlose blaue Weite. Wie gern würde ich meine Arme ausbreiten und fliegen, immer höher und höher, bis ich über den Wolken schweben würde. Nur schemenhaft sähe ich die riesigen Städte, mit den Menschen die sich Tag für Tag in demselben Rhythmus durch die Straßen schlängeln. Wie eine Choreografie, die man so lange geübt hat, bis man nicht mehr aufpassen muss. Bis der Körper die Bewegungen von alleine macht und man gefangen ist in den Schlägen der Stadt, dem Takt der alles vorherbestimmt.
Von mir würde niemand mehr erwarten mein Abitur zu machen. Nein, ich wäre frei von allen gesellschaftlichen Normen, die seit Jahrzehnten überholt sind. Von allen Vorherbestimmungen und Zwängen.
Ich strecke meine Hände aus und betrachte meine Finger. Sie gehören zu mir doch je länger ich sie betrachte, desto fremder kommen sie mir vor. Als gehörten sie irgendwie doch nicht zu mir. Jeden Tag betrachte ich meine Hände bei den komischsten Aufgaben, doch irgendwie nehme ich sie nie wahr. Der Mensch gewöhnt sich an Dinge, die selbstverständlich sind und fragt sich nicht ob es überhaupt richtig ist.
Man gewöhnt sich an Dinge, die eigentlich total irrational sind. Genug sein, was bedeutet das schon? Wer bestimmt überhaupt ob ich genug bin? Menschen sagen mir ob ich genug bin, ob ich es wert bin. Noten sagen mir ob ich genug bin. Taten, Worte, Bilder sagen mir ob ich genug bin. Ich frage mich warum man Menschen, die man als selbstverständlich ansieht, genauso wie meine Hand, meine Füße, dass ich jeden Tag etwas zu essen habe und zur Schule gehen darf, nicht öfter sagt, dass sie genug sind.
Ich lasse mich fallen, genieße diese Sekunden, in denen mein Kopf aufhört zu denken, die schreiende Stille in meinem Kopf, das Gefühl wenn sich meine Organe im Bauch verschieben und schwebe hinab in den Himmel.
Mit ausgebreiteten Armen schwebe ich in das tiefe Blau, begrüße die Kälte, die meinen Körper so selbstverständlich umschließt und lasse mich treiben von der Welt, die sich unter Wasser abspielt.
Ich bin genug.
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