Lächeln im Regen
Es war ein regnerischer Septembertag, als sie in die U-Bahn stieg. Der Träger ihres Rucksacks schnitt ihr unangenehm in die Schulter und der Coffee-To-Go in ihrer Hand wurde langsam kalt. Die Bahn war rammelvoll, die Wahrscheinlichkeit einen freien Sitzplatz zu finden so gut wie null und es roch nach Autoabgasen und Schweiß.
So sehr sie sich nach dem Leben in der Großstadt gesehnt hatte, in Momenten wie diesen wünschte sie sich doch in ihren Heimatort zurück, der mit seinen weiten Wiesen und schmalen Straßen nur wenige Autostunden entfernt lag. Der Stress im Studium, zusammen mit dem kalten, nassen Wetter, das nun endgültig den Sommer vertrieben hatte, raubten ihr an diesem Tag den letzten Nerv.
Sie lehnte sich an eine der Trennwände neben den Türen und schloss die Augen, während ihre Lieblingsplaylist in ihren Kopfhörern lief und die Regentropfen sich ihren Weg über die schmutzigen U-Bahnfenster bahnten. Zu Hause würde sie erst einmal eine Schmerztablette schlucken, um die Kopfschmerzen zu bekämpfen die sich dumpf in ihren Schläfen bemerkbar machten. Sie würde sich mit einer Kuscheldecke auf ihr Sofa setzen, das sie aus ihrem alten Kinderzimmer mitgebracht hatte, und ihre Pflichten so weit wie möglich in den Hintergrund drängen.
Ihre Haltestelle kam immer näher, die Menschen rundherum stiegen aus, andere wieder ein. Sie alle schienen wie gefangen im Stress der letzten Wochen. Kaum einer sprach. Die Bahn hielt erneut, die monotone Stimme der Durchsage kam nur leise durch die Musik in ihren Kopfhörern, doch sie kannte diese Gegend inzwischen sehr gut und stieß sich von der Wand ab, um die Bahn zu verlassen. Auch hier stiegen neue Leute zu, ein Mann mit langem Mantel und Hut und eine junge Frau mit ihrem Sohn. Der Bub konnte nicht älter sein als vier, und er hielt sich an der Hand der Mutter fest, während er von einem gestiefelten Fuß auf den anderen trat, ungeduldig endlich einzusteigen. Als sie ihn so ansah, hob er den Blick, seine großen Augen voll kindlicher Neugier und Abenteuerlust, und grinste sie an. Sie lächelte zurück, während sie den kleinen Spalt zwischen U-Bahn und Bahnsteig überwand, und ihr Lächeln blieb, auch als die Bahn schon lange weitergefahren war.
Fast wollte sie ihr nachlaufen, der Dame sagen, was für ein nettes Kind sie hatte, den Buben selbst vielleicht fragen, was er heute schon alles erlebt hatte oder was er einmal werden wollte. Doch hatte die Mutter überhaupt bemerkt, was passiert war? Hatten die anderen Leute im Zug bemerkt, wie ihre Schritte leichter wurden, der stressige Tag beinahe vergessen? Wenn sie so darüber nachdachte, bezweifelte sie es. Wahrscheinlich konnte sich nicht einmal das Kind selbst an sie erinnern, wo es doch ihren Abend buchstäblich gerettet hatte. Sie alle machten sich nichts aus dem winzigen Augenblick in der U-Bahn, da konnte er noch so bedeutungsvoll gewesen sein. Was sich für sie angefühlt hatte wie Minuten, vielleicht sogar Stunden, war für Andere eben nur das, ein Augenblick.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX