Lächle
Lächle
Mühsam versuchte Liv ihre Augen zu öffnen, was die grelle Sonne ihr deutlich erschwerte. Sie erkannte nur Umrisse von Betten und verschwommen weiße Wände. Sofort wusste sie, das das nicht ihr Zimmer war. Schlagartig flogen ihr Bilder von letzter Nacht in den Kopf und ein tiefer Kummer breitete sich in ihr aus. Kummer und Schmerz der sie nicht nur physisch, sondern ebenso psychisch belastete. In die Hand , die nicht an eine Infusion gefesselt war , vergrub sie ihr Gesicht. Grade als das Mädchen in Selbstmittleid zu versinken drohte riss sie ein lieblich klingendes „Hallo“ aus ihrer Welt. Ruckartig setzte sie sich auf und sah einen kleinen Jungen im Schneidersitz vor ihr. Sein Nachtkasterl war mit farbenfrohen Blumen verziert wo besonders die Sonnenblumen durch das warme Licht hervorstachen. Auf seinem kleinen Gesicht war ein riesiges Lächeln abgebildet , das wohl an Liv gerichtet war. Sie zwang sich selbst ihm ein Schmunzeln zurück zu schenken , doch das reichte dem Kleinen sichtlich nicht und er begann auf dem farblosen Bett wie eine Ente herumzustolzieren . Diesmal aber gab Liv ihm ein ehrliches Lachen, womit er schon mehr anfangen konnte . Der Kleine nahm seine ursprüngliche Position wieder ein, doch nun hatte er einen Block und einen Buntstift auf seinem Schoß platziert . Hastig kritzelte er in sauberster Volkschul-Druckschrift „Wie heißt du?“ aufs Papier. Sie schnappte sich eine dort herumliegende Kotzschüssel und einen Stift und schrieb darauf „Liv, und du?“ Amüsiert hielt er ein Schild mit dem Namen „Maxime“ hoch. Sie gab ihm ein Zeichen , das hinwies, sich zu ihr aufs Bett zu setzen , was der Junge auch anschließend tat. Beide alberten herum , doch dann fragte Liv plötzlich ernst „Können wir noch trotz unserer Krankheit lachen?“. Er nickte eifrige mit einem Strahlen im Gesicht und einer Dankbarkeit , die ihm niemand nehmen konnte.
Heute, nach 20 Jahren befindet sich Liv wieder im Krankenhaus . Diesmal steht sie aber neben dem weißen Bett, das bei ihr immer ein tiefes Unbehagen auslöst. Heute ist es anders , es ist schlimmer, sie verspürt zusätzlich nie enden wollende Traurigkeit . In ihrer rechten Hand befinden sich haufenweise Briefe , jeden einzelnen hat Maxi geschrieben . Maxime, der Mann , der fast leblos auf dem weißen Laken vor ihr liegt . Seit jenem Tag im Krankenhaus kennen sie sich jetzt schon und noch nie hatte sie sich so sehr gewünscht seine Stimme wieder zu hören. Tag für Tag hoffte sie stärker, dass er aufwachen wird. Aufwachen aus seinem schrecklichen Zustand, aufwachen aus diesem gnadenlosen Traum der Realität . Tränen kullern über ihr Gesicht und ihr Blick bleibt auf dem Fenster weilen . Es ist ein typischer Dezembertag, eigentlich die Zeit der Freude , doch sie fühlt überwiegend Angst und Schmerz die sich wie Gift in ihrem Körper ausbreiten . Sie nimmt vorsichtig die Hand des inzwischen erwachsenen Mannes in ihre freie. Mit zittriger und belegter Stimme versucht sie zu reden, was ihr nur schwer gelingt. „Können wir noch lachen? " Eine weitere Träne rollt ihr Gesicht hinab. Nach einer Weile drückt schwach jemand ihre Hand. Maxi drückt ihre Hand: "Ja", sagt er leise. Langsam schließt er seine trüben Augen und schläft ein. Licht erhellt den Raum, und sie weiß, wo immer er jetzt sein mag, er wird dort gerade lächeln.
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