Lea. Das ist mein Name.
Jan, denk an nichts als an die Musik! Das hat mir meine Tante zugeflüstert, als ich mit 5 Jahren an ihrem Klavier gesessen habe. Es roch in der ganzen Wohnung nach Orangen und leise klangen die letzten Töne von „Rocketman“ durch den Raum. Während ich anfing zu spielen, bemerkte ich, wie ihr Blick liebevoll auf mir ruhte. Unzählige Male sind wir so zusammen in ihrem Wohnzimmer gesessen, es gab nur uns und die Musik. Erst rückblickend ist mir klar geworden, wie besonders diese Momente waren.
Jan! Das hat mein Vater schockiert gerufen, als ihm klar wurde, dass ich anders bin, als er es bis jetzt erwartet hatte. Ich hatte mir heimlich ein Kleid gekauft und es nun zuhause anprobiert. Nicht nur, weil ich es bloß schön fand, sondern weil ich auch wusste, dass ich dadurch, wie der Mensch gesehen werden würde, der ich bin. Natürlich hatte ich Angst vor den Reaktionen der anderen, ich wusste aber auch, dass ich es verdient hatte, ich selbst zu sein.
Jan, das klingt unglaublich! Das hat mein Klassenlehrer gestammelt, als er mich das erste Mal Klavier spielen gehört hat. Ich war nach der Pause nicht mehr in die Klasse zurückgekehrt, weil mich meine MitschülerInnen an diesem Tag besonders schlimm gehänselt hatten. Verzweifelt war ich den Gang entlang gerannt, bis ich das Klavier in der Kammer entdeckt hatte und ohne groß nachzudenken, angefangen hatte, zu spielen. Er wollte wohl zunächst anfangen mit mir zu schimpfen, war dann aber wie versteinert stehen geblieben.
Lea? Das hat meine beste Freundin zögernd und mit einem unsicheren Lächeln zu mir gesagt, nachdem ich meinen ganzen Mut zusammengefasst hatte und ihr gesagt habe, dass ich ein Mädchen bin. Wir saßen auf dem Steg am See, der in der Nähe lag und die untergehende Sonne schien auf unsere tränenüberströmten Gesichter. Dass sie diesen Namen aussprach und mich dabei direkt ansah, war eines der schönsten Gefühle der Welt.
Jan. Das hat meine Tante mit einem trotzigen Blick zu mir gesagt, nachdem ich mich vor ihr geoutet hatte. Es hatte mich so viel Kraft gekostet, ihr das zu sagen und die Kälte, die in ihrer Stimme lag, gab mir einen Stich in den Bauch. Ich spürte, wie meine Stimme brach und Tränen über mein Gesicht herabliefen. Ich stürmte, blind vor Trauer, durch die Tür ihrer Wohnung nach draußen auf die Straße, in meinem Mund nur der bittere Geschmack von Enttäuschung. Ich rannte, angetrieben von meiner Wut, einfach ununterbrochen in eine Richtung und hielt erst an, als meine Lunge brannte. Natürlich war sie immer noch derselbe Mensch, aber etwas zwischen uns, ist an diesem Tag gestorben.
Und hier kommt Lea Funda! Ich spürte die Wärme der Scheinwerfer, die sich ebenso auf mich richteten, wie die Augen der Anwesenden im Saal. Vielleicht würde meine Tante diesen Moment im Fernsehen sehen, vielleicht auch nicht. Einen Moment lang schloss ich die Augen und genoss den Augenblick, bevor ich meine Finger auf die Tasten setzte. Dann dachte ich an nichts als die Musik.
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