Lebensmuster
Dass unbedachte Worte einmal einen so großen Einfluss auf den Verbleib ihrer Familie haben würden, hatte sich die junge Mutter nicht gedacht, als sie ihrem Kind an jenem Abend vor knapp zehn Jahren voller Wut entgegen schrie: „Stürze dich da nicht Hals über Kopf hinein! Du bist mein Kind, ich kenne dich besser als du selbst!“
Nicht viel später musste sie einsehen, dass sie ihre Worte unklug gewählt hatte. Während sie dabei zusah, wie ihr Kind langsam zu einem jungen Mann wurde, musste sie zugleich mit ansehen, wie es sich immer öfter in Schwierigkeiten brachte.
Zuerst bekam sie es kaum mit, doch immer öfter wurde er durch die Polizei nach Hause gebracht. Einmal hatte er unerlaubt ein Privatgrundstück betreten, ein anderes Mal war er von einer Brücke in den zu dieser Zeit reißenden Fluss hinab gesprungen. Auch sein Verhalten wurde immer rebellischer, sodass er bald nur noch Widerworte aussprach und nahezu jeden Tag Streit herrschte. Sein Kleidungsstil veränderte sich, seine Haare färbte er und auch zu rauchen begann er. Letztendlich wurden auch seine Schulnoten immer schlechter. Aber am meisten bereitete der Mutter die Tatsache Sorgen, dass er nach und nach seine Freunde zu verlieren schien. Die Menschen, mit welchen er sich herumtrieb, schienen ihm kaum etwas zu bedeuten und waren ihrer Meinung nach, nicht wirklich vertrauensvoll.
Die ganze Zeit über gelang es ihr nicht, zu verstehen, was im Inneren ihres Kindes vor sich ging. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er glücklich wurde, aber zugleich schmerzte es sie zu sehr, einen heranwachsenden Jungen in ihm zu sehen. Auch verstand sein Verhalten ihr und seinem Umfeld gegenüber nicht. Dachte er denn gar nicht daran, wie er auf andere wirkte oder was später aus ihm werden würde?
Der Tag, an dem alles zerbrach, war kurz vor seinem siebzehnten Geburtstag. Erneut war er von zwei Polizisten nach Hause gebracht worden. Dieses Mal hatte er das Auto seines Direktors zerkratzt, weswegen sie glücklich sein konnten, dass er nur einen Verweis bekommen hatte. Jedoch warnte sie einer der Polizisten, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis seine Taten schlimmere Konsequenzen haben würden, wenn es so weiterging wie bisher.
Obwohl er immer wieder anmerkte, wie unwohl er sich fühlte, ließ sie ihn von da an nur noch in von ihr ausgewählter Kleidung das Haus verlassen. Auch achtete sie darauf, dass er seine Haare nicht erneut färbte. Infolgedessen zog er sich immer weiter zurück, redete immer weniger mit seinen Eltern und verließ irgendwann sein Zimmer nur noch zum Essen und für die Schule.
An seinem achtzehnten Geburtstag zog er aus.
Sechs Jahre später stand er plötzlich vor ihrer Haustür. Neben ihm eine junge Frau. Er hatte sich so sehr verändert, dass sie ihn kaum erkannte, doch sein Blick hatte ihr sofort eines gezeigt: Er hatte sich Hals über Kopf verliebt.
Wie es schien war dieser Ausdruck weiterhin ein Teil seines Lebens, doch womöglich war dies gar nicht so schlimm, wie sie angenommen hatte.
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