Leberkäse und Gurkensalat
„Es ist genug.“, wisperte sie leise, befeuchtete ihre spröden Lippen.
Dicke Regentropfen schlugen monoton gegen die befleckte Fensterscheibe, erzeugten ihren eigenen Rhythmus. Weder ähnelte er den zarten Tönen, welche sie ihrem Klavier zu entlocken wusste, noch den dumpfen Schlägen einer Pauke, dennoch war jener Klang stets tröstlich gewesen, in all den schweren Zeiten.
„Womit?“, fragte die blecherne Stimme mitleidig.
„Mit der Vergangenheit.“
Die Tropfen prallten hastiger, unregelmäßiger an das Glas, klopften wie unzählige, kleine Finger an ihrem Herz, baten um Einlass.
Sie gewährte ihn nicht.
„Sind Sie sich sicher?“
Hart lachte sie auf, warf ihren Kopf in den Nacken, kräuselte spöttisch ihre Lippen. Ihre Hand hatte sich fest in den kühlen, arnaudongrünen Stoff ihrer Vorhänge gekrallt, jene Vorhänge, welche exakt dieselbe Farbe wie die Weißweinflaschen ihrer Mutter hatten.
„Müssen nicht Sie das wissen?“, gluckste sie, mit sarkastischem Lächeln aus dem Fenster starrend. Der Regen hatte die Gärten und Dächer mit einem glänzenden, durchsichtigen Film überzogen, tänzelte die Dachrinnen herunter, saugte sich gierig in die schlammige, nahrhafte Erde.
„Erzählen Sie mir mehr darüber.“, erwiderte die raue Frauenstimme leise.
Sie atmete tief ein, ging in sich, nachdenklich.
„Es gab immer Leberkäse und Gurkensalat. Zu mehr war sie nie in der Lage gewesen.“
Das inzwischen erwärmte, silberne Telefon an ihr Ohr gepresst schwieg sie nun, kratzte mit dem Fingernagel einen blassen Kalkfleck vom marmornen Fensterbrett.
„Können Sie mir eine Frage beantworten?“, murmelte sie schließlich.
„Ich werde es versuchen.“
„Früher habe ich gespürt, wie ich innerlich zerbrochen bin. Tag für Tag, Stück für Stück. Warum spüre ich es heute nicht mehr?“
Es fühlte sich gut an die Fragen zu stellen, welche ihr innerlich auf der Seele brannten. Sie wollte es wissen, es ergründen, es verstehen.
„Sie spüren nichts mehr?“
„Als wäre es mir egal.“, bestätigte sie flüsternd.
„Ist es Ihnen egal?“
Sie zog ihre Augenbrauen zusammen, biss sich auf die Lippen, bis sich ein salziger, rostiger Geschmack in ihrem Mund ausbreitete.
„Habe ich das nicht Sie gefragt?“
Die Frauenstimme lachte rau auf. Durch den Lautsprecher drangen seltsame Hintergrundgeräusche, etwas klapperte. „Stimmt. Aber nur Du weißt die Antwort.“
Stirnrunzelnd schüttelte sie den Kopf, registrierte nebenbei die sich geänderte Anrede. Sie kam nicht voran. Sie erhielt nicht ihre gewünschten Antworten.
Abermals verzerrten Geräusche das Gesagte ihrer Gesprächspartnerin.
„Bist Du schon zu einem Schluss gekommen?“
Sie antwortete nicht, lauschte hastig atmend, presste das Telefon noch härter, schmerzhafter an ihr Ohr.
Sie konnte Flüssigkeit sprudeln hören, Gläser bauchig aufklirren.
„Ja.“, schnaubte sie hart.
Ihr Herzschlag hatte sich vervielfacht, Adrenalin durchfuhr sie.
„Das bin ich. Haben Sie vielen Dank!“
Ihr Finger fand wie von selbst zur roten Taste.
Es war genug.
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