Leitfaden
Der Faden reißt. Ich habe losgelassen, aber scheinbar zu spät. Ich habe zu viel riskiert, wollte sie an dem Faden wieder zu mir ziehen. Je mehr ich ihn spannte, desto mehr Fasern rissen, aber das merkte ich zu spät.
Dabei war unsere Verbindung so stark. Der Faden zwischen uns war himmelblau, sie selbst hat gestrahlt. Heller als die Sonne je sein könnte, führte sie mich durch mein Leben. Immerzu verbunden mit ihr fürchtete ich nichts und niemanden. Natürlich war sie entfernt von mir, wie könnte sie es nicht sein? Unsere Begegnung hieße ihr sicheres Ende. Manchmal verlor ich sie aus den Augen, aber der Faden brachte mich wieder zu ihr.
Sagt mir, wann habt ihr angefangen ihr wehzutun? Habe ich zu oft weggesehen? Denn als ich eines Tages zu ihr blickte, war ihr Licht gedämpft. Sie irrte herum, ohne Rücksicht auf mich. Unser Faden spannte sich, erschöpft und müde versuchte ich ihr nachzulaufen, nur um unsere Verbindung nicht zu verlieren.
Ich weiß, dass sie wegläuft. Sie dämpfte ihr Licht, um nicht aufzufallen, ich selbst erkannte sie kaum wieder. Ihr habt sie schon längst gefunden, nicht wahr? Tausende greifen nach ihr, ziehen sie zu einem Ort, kein Licht der Welt könnte ihn erhellen. Es ist zu spät. Ich kämpfe, schreie, weine, will den Faden zu mir ziehen.
Schlussendlich lasse ich los. Jetzt habt ihr sie, sie liegt in euren Händen. Trauernd sinke ich zu Boden. Der nun pechschwarze einst himmelblaue Faden zerfließt in meinen Händen. Was Tag war, wird Nacht. Was hell war, wird dunkel. Was mein war, wird euer. Hoffnungslos blicke ich auf. Düstere Machtlosigkeit ergreift mich, kein Ende in Sicht. Es droht mich zu verschlucken, mich für immer einzunehmen und wäre ich auch mutiger, ich könnte diesem Schicksal nicht entfliehen. Ich schließe meine Augen und lasse mich fallen. Ihr habt gewonnen, ihr habt sie mir genommen.
Ein sanftes Ziehen, ein leichtes Schimmern, die Welt hält inne. Sie hat mich wieder gefunden, so wie ich sie gefunden hätte. Lächelnd blicke ich in ihr Licht.
Meine Zukunft.
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