Leuchtende Unwissenheit
In diesem Augenblick sitzen wir hier beide und lesen diesen Text. Du und ich gemeinsam, nur nicht am selben Ort oder zum selben Zeitpunkt. Und doch gleiten unsere Augen über dieselben Wörter, nehmen sie nach und nach auf. Gemeinsam.
Dieser Gedanke ist komisch, oder nicht? Zu wissen, dass wir nicht allein sind. Und wir werden es auch nie sein. Du hast Erinnerungen, Gefühle, Ängste. Ich auch. Und doch werden wir beide nie wissen, wie es ist, der andere zu sein. Wir können uns noch so nahestehen, wirklich wissen können wir es nicht. Egal ob ich dir von einer Erinnerung erzähle, dir Fotos zeige und dir ganz genau beschreibe, wie ich mich damals gefühlt habe, wie ich die Wärme durch meinen Körper schießen gespürt habe, wie ich gelacht habe, wie ich den sanften Wind über meine Haut streicheln gespürt habe. . Wir werden immer an zwei verschiedene Dinge denken. Denn nur ich weiß, wie der Moment für mich und mich allein war.
Manchmal, wenn ich draußen bin, sehe ich mich um und erblicke viele Menschen. So unglaublich viele Menschen. Wie verschieden wir doch sind. Einen alten Mann zusammen mit einem kleinen Hund, der hechelnd auf seinem Schoß sitzt. Ein kleines Kind, welches lachend um seine Mutter herumläuft. Ein Lehrer, der sich freut, weil er endlich zum ersten Mal Klassenvorstand sein darf. Und jedes Mal kann ich nur daran denken, dass jeder von diesen Menschen ein eigenes Leben hat. Es ist so unglaublich, so unfassbar, so wunderschön. Wie viele von ihnen wohl denken, dass sie hässlich sind? Es macht mich fast traurig. Denn ich weiß, wie schwer es ist, die Schönheit an einem selbst zu erkennen. Ich finde es immer so schade, denn ich kann sie sehen. Die Schönheit in der Verschiedenheit. Diese Gedanken bringen mich dann immer weiter und weiter. Geht es dieser Person dort drüben gut? Vielleicht hat diese Person gerade eine Freundin verloren und weint innerlich, doch versucht ihr Bestes, nicht in der Straßenbahn zu weinen? Vielleicht ist dort drüben jemand, der gerade zum ersten Mal geküsst wurde, und die Schmetterlinge immer noch in ihrem Magen spürt? Vielleicht ist dort jemand, der denselben Musikgemschack hat wie ich? So viele Möglichkeiten. Und so viele Menschen in ihrem Leben, die ich nie kennen werde. Es ist fast magisch. Meine Familie und meine Freunde sind mir so unglaublich wichtig und für andere sind sie vielleicht einfach nur Fremde, denen sie vielleicht noch nicht einmal begegnet sind. Jeden einzelnen Moment, den wir erleben, gibt es nur einmal und ganz ehrlich, zu wissen, dass wir Unwissend sind, ist wunderschön.
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