Lähmende Ängste
Sie verstehen es nicht. Sie tun so als ob, aber das stimmt nicht. Sie wissen nicht wie es ist. Keiner von ihnen. Das beweisen Aussagen wie: „Beruhige dich, es ist doch nur ein Gewitter. Reiß dich zusammen, er hat dir doch gar nichts getan. Sei nicht so paranoid. Du übertreibst doch …“
Inzwischen habe ich aufgehört zu versuchen, es ihnen zu erklären. Sie wissen nicht, wie es ist eine Phobie zu haben. Geschweige denn unzählige von ihnen. Wie es ist, wenn sich ein Gewicht auf deinen Brustkorb legt und dein Herz so schnell schlägt, als wolle es deinen Oberkörper zertrümmern. Wenn sich die Panik über dich legt und dich handlungsunfähig macht. Du willst deine Augen schließen, das geht aber nicht. Es ist, als hätte dir deine eigene Angst die Kontrolle über deine Gliedmaßen entrissen. Wie Lava tobt sie durch deine Adern und macht es dir unmöglich, sie zu ignorieren. Sie hat mir alles genommen. Meine Freunde? Wer will schon mit einem Freak befreundet sein? Meine Familie? Wenn sie nicht genervt sind, haben sie nicht nur Angst um mich, sondern auch von mir. Meine Zukunft? Welche? Arbeiten ist unmöglich für mich geworden. Ein Ehemann? Niemand wird sich in jemanden wie mich verlieben. Und wenn auch, ich kann mich nicht einfach Hals über Kopf in die Liebe stürzen, das bin nicht ich. Ich bin diejenige, die nervös an ihren Fingernägeln kaut, bis Blut hervorquillt, und alles beobachtet. Doch ein Risiko eingehen? Loszulassen? Was ist das? Das steht nicht in meinem Wörterbuch.
Ich lebe nicht. Ja, mein Herz schlägt und ich wandle Sauerstoff in Kohlendioxid um.
Aber leben? Dazu bin ich nicht imstande.
Wie eine Fratze späht die Panik um jede Ecke, an der ich vorbeikomme. Ihr Klauen strecken sich nach mir aus, reißen an meiner Kleidung. Ihr Atem brennt sich in meinen Nacken. Ihre Schreie verwandeln mein Gesicht in eine Grimasse und meinen Körper in ein verlassenes Gefäß.
Und dann ist sie da. Und nichts ist schlimmer als sie.
Ich habe alles probiert. Aber ich bin hilflos.
Ich habe die Ecken gemieden, in der sie sich versteckt. Ich habe auf ihre Klauen mit meinen eigenen geantwortet. Ihre Schreie habe ich mit meinen eigenen übertönt.
Aber ihr heißer Atem brennt sich noch immer in meinen Nacken, definiert mich und meine Taten.
Wie es ohne ihr wäre? Das Lustige ist: Ich habe keine Ahnung.
Ich sehne mich nach Normalität. Auch das Wissen, wie es ohne meine Phobien wäre, würde mir schon reichen. Doch das wird mir verwehrt. Genau wie alles andere, außer dieser dominanten Emotion.
Ein Wort mit dem ich mich selber beschreiben würde: Panisch.
Meine Zähne gruben sich schmerzhaft in mein Handgelenk, als ich versuchte, die aufkommende Panik mit Schmerz zu vertreiben.
»Alles in Ordnung? «
Ängstlich blickte ich zu der Stimme auf.
Und dann war da plötzlich noch ein anderes Gefühl als die Panik.
Etwas warmes, schönes.
In den darauffolgenden Wochen, lernte ich zu leben.
Warum? Weil das Unmögliche geschehen war: Ich hatte mich verliebt. Hals über Kopf.
Wie? Das ist eine längere Geschichte.
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