Liebes Tagebuch
10. 05. 3025
Ein weiterer Tag von vielen, an dem ich einfach nur im Bett liegen bleiben möchte und nie wieder aufstehen will. Seit Monaten habe ich für nichts mehr Motivation, weil meine Mutter im Krankenhaus liegt und ich seitdem nicht mehr mit ihr reden konnte. Ich vermisse sie so sehr, doch es ist unwahrscheinlich, dass sie jemals wieder aus dem Koma erwacht.
11. 05. 3025
Heute war ich im Krankenhaus bei meiner Mutter, um mit ihr zu reden, auch wenn sie mir nicht antworten konnte, erzählte ich ihr von meinem Tag. Ich bete jeden Tag für sie. Ich sprach heute mit den Ärzten, sie meinten, sie würde nie mehr erwachen. Es traf mich sehr, ich hielt ihre Hand und sagte weinend zu ihr, wie sehr ich sie liebe. Mein Vater holte mich später vom Krankenhaus ab und fuhr mich nachhause. Ihm schien alles egal zu sein, er redete kaum darüber und war nur noch abends unterwegs. Mama ist doch erst seit kurzem weg. Hat er schon eine Neue?
15. 05. 3025
Alles fühlt sich seit Tagen so unrealistisch an und einfach nur komisch. Mein Bauchgefühl will mir etwas sagen. Etwas wird passieren. Aber was? Wird Papa mir etwa beichten, dass er eine neue Frau hat? Nein, kann nicht sein, er liebt doch nur Mama.
19. 05. 3025
Der schlimmste Tag meines Lebens. Heute gab Papa zu, dass er daran schuld sei, dass Mama im Koma lag. Er wollte mir nicht sagen, was er getan hatte, aber eins weiß ich, ich werde von zuhause abhauen. Ich tu es jetzt, ich packe jetzt meine Sachen und geh!
20. 05. 3025
Mein Leben ist einfach nur sinnlos. Schlechte Noten, keine Freunde, keine Familie, kein Zuhause. Ich vermisse Mama. Meinem Vater schien es egal zu sein, wo ich war. Ich überlege schon seit Tagen, mir das Leben zu nehmen, würde ja eh keinem auffallen.
21. 05. 3025
Ein weiterer Tag und nichts hatte sich geändert. Ich werde es tun. Bald. Heute Abend ist es so weit, ich werde Selbstmord begehen. Ich werde von der Brücke springen. Nur noch ein paar Stunden.
23. 05. 3025
Komisch. Ich war tot, aber noch da. Ich sah meine Leiche. Ich war nur noch ein Geist. Ich lief zu meiner Mutter ins Krankenhaus, niemand sah oder hörte mich. Ich war einfach unsichtbar. Ich gab meiner Mutter einen Kuss auf die Stirn. Plötzlich öffnete sie ihre Augen und nahm mich in den Arm. Ich konnte es nicht glauben, aber ich hatte sie in die schönere Welt geholt. Beide tot, doch so glücklich.
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