Liebesbrief
Lieber T,
wir kennen uns jetzt fast vier Monate. Um genauer zu sein: 120 Tage.
Ich weiß noch, wie ich unfreiwillig in das Speeddating der Convention gezogen wurde, bloß weil meine Freundin nicht allein sein wollte. Doch dann kamst du, wir haben geredet und die Zeit war zu schnell vorbei. Hinterher haben wir noch lange geredet, aber ich wurde weg gezogen. Ein bisschen traurig war ich schon, ich hätte es aber nicht ändern können.
Zwei Tage später habe ich vom Veranstalter deine Handynummer bekommen. Zitternd und grinsend schreibe ich dir eine Nachricht, eine andere Freundin kommentiert mein Grinsen nur mit einem „Aha?“, aber mir war es egal. Plötzlich schreiben wir täglich miteinander, vom Aufstehen bis zum Schlafen gehen, wollen viel voneinander wissen. Du hast dir das Knie in der Disko verdreht und kannst kaum laufen, aber das hält mich nicht davon ab, dich treffen zu wollen.
Vor 108 Tagen hatten wir unser erstes Date. Wenn man es denn so nennen könnte. Ich bin zwei Stunden mit der Bahn gefahren, um dich zu sehen, und habe all die Vorwürfe von Seiten meiner Eltern und meiner Freundinnen ignoriert, ich wollte einfach nur dich endlich wiedersehen. Wir sind Eis essen gegangen und danach zu dir. Bereits da habe ich deine Familie kennen gelernt, was sehr unüblich ist, aber das war uns egal. Du bist direkt sehr verkuschelt gewesen, ein Schock für mich, aber ich habe mich drauf eingelassen. Auf dem Weg nach Hause wurde ich bereits ausgequetscht und musste telefonieren, die Woche darauf wollten wir uns wiedersehen.
Vor 101 Tagen habe ich deinen Pulli bekommen, damit ich im Urlaub etwas habe, das mich an dich erinnert, aber du solltest nach London auch etwas von mir bekommen, so der Plan. Während des Urlaubs schreiben wir weiter, fast ununterbrochen, und uns beiden wird irgendwie klar, dass da noch mehr zwischen uns ist.
Vor 84 Tagen haben wir uns dann das erste Mal bei mir getroffen und festgestellt, dass wir zusammen gehören. Der Tag selbst war katastrophal, aber danach ging es aufwärts.
Vor 81 Tagen habe ich bei dir übernachtet. Kurz darauf bin ich krank und ehe ich mich versehe, stehst du mit Essen vor der Tür und sorgst für mich. Als es mir dann seelisch noch schlecht geht, verzichtest du auf Schlaf, um für mich da zu sein, mit mir zu schreiben, damit es mir besser geht
Vor 24 Tagen waren wir beide sehr aufgeregt: Es sollte in den Urlaub nach Dresden gehen, zusammen mit meinem Bruder und seiner Verlobten. Doch am Flughafen gab es Probleme, der Urlaub wurde ganz anders, als wir es uns vorgestellt haben, aber c’est la vie.
Die erste Krise haben wir auch schon hinter uns, vor sieben Tagen habe ich um eine Pause gebeten. Doch schon kurze Zeit später ist klar: Ich will dich um nichts mehr missen.
Zusammen können wir über alles reden, sind offen und ehrlich. Reden auch schon über weiteren Urlaub, Hochzeit, Kinder, unsere Zukunft, beschließen aber, lieber im Hier und Jetzt zu leben.
Doch eins wissen wir beide: Wir haben uns verliebt – Hals über Kopf.
In Liebe,
F
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