Losgelöst
Ich schleppe mich nach unten, ziehe mir meine weißen Sneaker an und verlasse das Haus, ohne mich dabei umzudrehen. Schon schreite ich wieder dieselbe Straße entlang, die ich jeden Tag gehe, Autos ziehen an meiner linken vorbei, ein Mann mit seinem Hund und eine ältere Dame mit einer zu schweren Tragetasche. Und ich. Mittendrin, unbedeutend und ordinär.
In meinem Kopf so viele Gedanken. Leer und voll zugleich. Ich bin verwirrt, ein Schleier legt sich sanft über mein Gehirn. Ich existiere, mehr auch wieder nicht. Moment einmal, warum bin ich stehen geblieben? Ich blicke auf, meine Augen richten sich auf den Straßenabschnitt vor mir. Das erinnert mich und plötzlich bist du wieder an meiner Seite, wir lachten, waren glücklich und haben uns für einen kurzen Augenblick unsterblich gefühlt. Wir liefen in den Sonnenuntergang hinein und sangen laut unser Lieblingslied, schrecklich waren wir, kein einziger Ton wurde getroffen und trotzdem hätte uns in diesem Augenblick nichts besiegen können. Wo bist du nur, warum lässt du mich allein? Warum musstest du gehen, ich bin hier einsam ohne dich.
Ich schließe meine Augen und lasse mich von weiteren Erinnerungen überfluten. Tief in mir drinnen, auf der linken Seite geht ein schmerzhafter Stich durch eines meiner Organe. Kurzzeitig bleibt mir die Luft weg, meine Lungen schreien nach Sauerstoff, ich bin überzeugt gleich zu ersticken. Ich muss wohl doch ein Herz haben. Ja, jetzt spüre ich es, es hämmert in meiner Brust, springt förmlich aus mir heraus. Ich öffne erneut meine Augen, richte meinen Blick auf die Straße vor mir und beginne zu rennen, ziellos renne ich, schneller und schneller bis ich nur noch ein Rauschen in meinen Ohren vernehme. Etwas in mir löst sich und ich werde noch schneller, ich biege rechts in den Park ein, indem wir so viel Zeit zusammen verbracht haben, händchenhaltend saßen wir auf einer Parkbank, teilten uns ein Eis, Schoko und Stracciatella. Meine Sicht verschwimmt leicht und eine salzige Träne entweicht aus meinem Augenwinkel. Es brennt ein wenig, aber ich laufe weiter, vorbei an den Bänken und meine weißen Schuhe vergilben durch den sandigen Boden.
Ich erreiche den großen See in der Mitte, indem wir doch so oft zusammen geschwommen sind und bevor ich mich stoppen kann, springe ich nach vorne und durchbreche die Wasseroberfläche. Die Kälte juckt auf meiner Haut und ich merke, wie das Gewand an meinem Körper schwer wird, mich nach unten zieht.
Ich wünschte du wärst noch hier, bei mir. Das Wasser brennt in den Augen und trotzdem öffne ich sie, verschwommen blicke ich hoch, Sonnenstrahlen erzeugen einen schönen Kontrast in dem braunen Gewässer. Ich will wieder nach oben schwimmen, aber hier unten ist es doch so schön still. Ich schließe meine Augen und für einen kurzen Augenblick fühle ich gar nichts. Kann ich diesen Augenblick festhalten?
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX