Luftholenvon Fanny Koelbl
Ich rede gerne, wenn ich mich alleine fühle.
Dann ist da meine Stimme und du drehst dich zu mir um und schaust mich an und hörst und das Nichts verschwindet. Ich habe geglaubt, ganz am Anfang, dass du so aufmerksam auf meine Worte wartest, weil du wissen willst, was ich sage. Ich habe mich getäuscht. Du wartest, weil du weißt, dass ich irgendwann Luft holen muss, dass ich irgendwann aufhöre zu sprechen – und dann sprichst du. Weil du auch gerne redest, so wie ich. Wenn du sprichst, erzählst du viel und mehr und alles, bloß mir antworten willst du nicht. Nie. Ich höre dir zu, habe dir schon lange zugehört und wenn du Luft holst, erwidere ich etwas auf deine Geschichte, versuche zu verstehen. Und du wartest. Bis ich fertig bin. Damit du mir wieder irgendetwas anderes erzählen kannst.
Manchmal reden wir auch nicht. Wir stehen uns einfach gegenüber und du schaust mich an. Aber du siehst mich nicht. Du blickst in meine Augen, schaust an mir vorbei und durch mich hindurch, übersiehst mich und schaust dann fort. Einmal bin ich vor dem Spiegel gestanden, habe mir entgegengesehen, habe dich neben mir entdeckt. Du hast auch in den Spiegel geschaut, doch in deinem Spiegel warst nur du. Da war kein Ich. Ich wunderte mich, dass es so leicht für dich ist, mich wegzusehen. Eine Zeit lang habe ich dir zu- und nachgesehen, wollte nur, dass du ein einziges Mal in mich hineinsiehst. Hast du nicht. Dann habe ich mich alleine gefühlt, tue es immer noch und deshalb fange ich wieder an zu reden, reden.
Wenn ich rede, du dich umdrehst und mich anschaust, hörst du zwar, aber weder zu noch mit, du hörst nicht wirklich hin und nicht wirklich her – manchmal sogar weg. Und ich?
Ich habe mich jetzt sattgehört. Punkt
Bin sattgehört von deinem Reden, habe genug davon mitzuhören und nachzuhören und möchte jetzt nicht mehr weiterhören. Möchte ein Mal so sein wie du. Nicht immerfort alleine sein. Wie ich. Nicht alles fühlen und spüren müssen, nicht alles sehen – Und wenn du dann redest, und du redest gerne, dann höre ich mich einfach weg. Woanders hin, bloß weit weg und weiter weg von dir. Vielleicht merkst du das nicht einmal, weil du nicht zuhörst, noch nie zugehört hast und deshalb auch nicht merken wirst, dass ich plötzlich aufhöre zuzuhören.
Und du sagst Worte und ich höre, aber ich spüre sie nicht. Ich spüre gar nichts. Weil ich eben so bin wie du. Nicht wie ich. Ich würde mithören und hinhören und mich nicht forthören. Aber genau das mache ich jetzt und dann, wenn ich mich ganz weit weggehört habe, ist es still. Niemand ist mehr da, der redet oder der zuhören kann, und ich fühle mich sehr alleine. Ich wusste nicht, dass du einsam bist, dass da nichts ist in dir.
Am Ende höre ich mich zurück. Fort von dir und wieder hin zu mir, weil ich lieber ich bleiben möchte. Hier warte ich auf jemanden, der zu- und mit- und hin- und herhört und während ich warte, rede ich. Ich rede gerne. Und dann hole ich Luft.
Jemand wird kommen, irgendwann, der auch wartet. So wie ich. Ganz sicher.
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