Magentafarben
I.
Mein Kinn ist gewärmt vom Wollschal, während ich Winterluft einatme und meine Nase taub wird. Die Dorfkopfsteinpflastergasse ist menschenleer, rauchgraue Wolken haben die Sonne verdeckt.
Schon wieder bleibst du vor dem Schaufenster der Dorfbank stehen. Dein Zeigefinger tippt gegen die Fensterscheibe und hinterlässt einen Abdruck auf dem benebelten Glas, dahinter eine Immobilienanzeige.
»Da«, sagst du, dein Atem färbt die Luft mattkreideweiß. »Wir sollten endlich in die Stadt ziehen. «
Ich trete dir einen Schritt näher, während ich bemerke, wie meine Fingerspitzen beginnen, sich auf dem Polyesterstoff meiner Manteltaschen rau anzufühlen.
Du fährst dir mit der Hand durch deine zerzausten Haare, schaust mich an, dein Fuß wippt.
Mit zusammengekniffenen Augen erblicke ich das Foto des lichtdurchfluteten Wohnzimmers auf der Anzeige. Dann deine grünseegefärbten Augen.
Hinter dir ist ein Blumenladen. Bleiche Lichterketten flackern schwach über die ausgestellten Zimmertopfpflanzen. Heute kaufe ich mir den Weihnachtskaktus mit magentafarbenen Blüten.
II.
Du sitzt im Wohnzimmer unserer Dorfmietwohnung. Stirnrunzelnd liest du die Samstagszeitung.
»Magst du Tee? «, frage ich dich.
»Mhm«, murmelst du.
Fünf Minuten später stelle ich zwei zitronenteeerfüllte Keramiktassen auf den Sofatisch. Durch das Fensterglas sehe ich, wie watteweiche Schneeflocken lautlos vom Himmel rieseln. Sie machen das Grau der Asphaltstraße zu Weiß.
Ich setze mich dir gegenüber.
Du blätterst um, das Zeitungspapier raschelt. Mit der Zeigefingerspitze fährst du über die gedruckten Tintenwörter.
Ich nehme einen Schluck Tee.
Du befestigst deine Brille an die Nase, hast die Augenbrauen hochgezogen.
»Trink, bevor dein Tee kalt wird«, sage ich.
»Schau, diese Wohnung ist direkt in der Altstadt«, sagst du.
Ich schaue hinüber zum Weihnachtskaktus auf dem Fenstersims und stelle mir vor, seine magentafarbenen Blüten wären auf dem Sofatisch zwischen uns.
III.
Die hochgestiegene Sonne wärmt mir die Haare, während Sommerhauch meine Ohren streichelt. Die Stadtkopfsteinpflastergasse ist menschenvoll, Touristen, Passanten, Fußgänger, Touristen.
»Es ist viel mehr los in der Stadt«, sagst du. Das stimmt – es riecht nach Wurstsemmeln, Plastiksouvenirs und Zigarettenrauch.
Ich sehe die magentafarbene Tasche einer Frau und mir fällt auf, dass Weihnachtskaktus im Juni keine magentafarbenen Blüten hat, nur spinatgrüne Blätter.
Wir kommen zu einem Stadtbrunnen. Du schweigst. Ich betrachte das Wasser lautrauschend aufgehen. Es spritzt mir angenehm ins Gesicht.
Du klopfst mit dem Zeigefinger gegen die feuchte Steinmauer des Brunnens, ein Kupferschild ist daneben angebracht. »Glücksbrunnen« steht in bronzenen Buchstaben eingemeißelt.
Münzen klimpern in meiner Hosentasche. Ich nehme eine, werfe sie unauffällig ins Wasser, sie verursacht ein leises Plopp beim Eintauchen und landet auf einer anderen Münze.
Ich wünsche mir, dass eines Tages meine Wangen auch magentafarben leuchten.
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