"Mama"

Liebe Mama!

Das weiße Blatt liegt vor mir auf meinem Schreibtisch und wartet ungeduldig darauf beschrieben zu werden. Meine Gedanken sind aber so durcheinander, dass ich nicht weiß, wie ich jetzt anfangen soll. Auch wenn mir bewusst ist, dass du diesen Brief nie lesen wirst, werde ich ihn trotzdem schreiben und ans Fenster legen. Vielleicht kommst du ja doch irgendwann mal vorbei, um zu sehen, wie es uns geht, und findest ihn?

Ich wollte dir eigentlich nur sagen, wie sehr ich dich vermisse. Ich liebe dich, Mama, und ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie mein Leben ohne dich weitergehen soll. Auch Papa und Martin starren die ganze Zeit traurig vor sich hin, was es für mich nicht leichter macht. Es fühlt sich so an, als hättest du einen Teil meines Herzens mitgenommen, als du gegangen bist. Mein Herz tut die ganze Zeit weh und es wird sicher noch lange dauern bis die Wunde verheilt ist. Wenn sie denn überhaupt verheilen wird. . .

Ich erinnere mich noch genau an dich. Die braunen Augen, die immer gefunkelt haben. Dein Lächeln, mit dem du die Menschen um dich herum auch zum Lächeln gebracht hast. Dein Strahlen, das mir gezeigt hat, dass ich geliebt werde. Und deine Art, wie du mit Menschen und Tieren umgegangen bist. Bereit zu helfen und zu trösten. Immer wenn ich geweint habe, warst du für mich da und hast mich fest an dich gedrückt. Nur jetzt, wo ich dich am meisten brauchen würde, bist du nicht hier.

Seit heute gehe ich wieder in die Schule. Alle versuchen mich zu trösten und umarmen mich. Ich weiß, dass sie es nur gut mit mir meinen, aber ich halte das nicht aus! Immer und überall werde ich an dich erinnert! Zu Hause, wo dein Geruch, der so gut nach Lavendel duftet, noch in der Luft schwebt. In der Schule, wo alle die ganze Zeit deinen Namen erwähnen. Meine Schulsachen, die du für mich eingebunden hast, weil ich mich lieber mit meinen Freundinnen treffen wollte. Die Küche, in der du immer stundenlang gestanden bist, um für Paps, Martin und mich zu kochen. Das Wohnzimmer, in dem du immer auf dem Sofa gelegen hast und während dem Fernsehen eingeschlafen bist. Dein Bett, in dem ich tagelang gelegen bin, nachdem du gegangen bist. Es war immer ganz nass, weil ich so viel geweint habe.

Mama, warum musstest du gehen? Warum konntest du nicht bei uns bleiben? Dann wäre ich noch glücklich! Dann hätte mein Leben noch einen Sinn! Aber so?

Ich vermisse dich soooo sehr, Mama. Ich kann nicht aufhören an dich zu denken. Nicht aufhören zu weinen. Ich konnte mich ja noch nicht einmal von dir verabschieden. Ich konnte dir nicht mehr sagen, dass es mir leid tut. Du bist so schnell gegangen. So plötzlich. So Hals über Kopf.

Es tut mir leid, Mama. Ich hätte mich nicht mit dir streiten sollen. Ich hätte dich nicht anschreien sollen. Nur wegen mir bist du tot! Nur wegen dem Streit mit mir bist du mit dem Auto weggefahren und gegen diesen blöden Baum gekracht! Alles wegen mir! Es tut mir unendlich leid, Mama. Ich liebe dich.

Deine Lilli