Mandelherzen
Du schaust mich an. Öffnest den Mund, schließt ihn wieder. Ich will etwas sagen, aber ich kann nicht. Ich stehe wie versteinert vor dir, kann mich nicht rühren. Langsam kullert eine einzelne Träne über mein Gesicht. Verzweifelt beobachtest du mich. Du sagst, es tut dir leid. Ich glaube es dir, denn das tut es mir ja auch. Warum kann es nicht einfach so weiter gehen wie bisher?
Langsam ist es gekommen, schleichend, aber doch merkbar: Das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt.
Schon lange waren wir ineinander verliebt, doch erst vor wenigen Wochen hatten wir schließlich endlich unser erstes Treffen. Wir waren gemeinsam durch den Weihnachtsmarkt spaziert und hatten uns gebrannte Mandeln geteilt. Zum Abschied hast du mich an der Hand genommen und mich vorsichtig zu dir gezogen. Zärtlich hast du über meine glühenden Wangen gestrichen, dich nach vorne gebeugt, bis unsere Nasenspitzen sich berührten. Genüsslich schloss ich meine Augen und spürte deine weichen Lippen auf meinen. Sie schmeckten süßlich, nach gebrannten Mandeln. Es war alles so perfekt.
Doch dann kam alles anders. Auf einmal waren deine Umarmungen zaghaft. Immer, wenn du mich küsstest, musste ich schmerzhaft feststellen, dass dieser liebevolle, sorglose Blick verschwunden war. Deine grünen Augen strahlten nicht mehr, wenn du mich anlachtest. Oft habe ich dich gefragt, was passiert ist, aber du schütteltest immer nur energisch den Kopf.
Irgendwann reichte es mir. Ich schrie dich an, warf dir vor, mich nicht mehr zu lieben. Traurig hattest du mich angeschaut, doch du hattest keinen Ton von dir gegeben. Das machte mich nur noch verzweifelter. Ich warf mit Worten um mich, die ich am liebsten nie ausgesprochen hätte. Ich brüllte dich an, ob du zu feige wärst, mir zu sagen, was los sei. Ob du dich mit jemandem gestritten hättest, du gemobbt werden würdest, du umziehen müsstest. Zaghaft schütteltest du immer nur den Kopf. Ein Argument, warum alles so anders gekommen war, wie ich es mir erträumt hatte, hatte ich noch. Mit ängstlicher Stimme versuchte ich die richtigen Worte zu finden. „Du, du hast dich in jemanden anderen verliebt, oder? Gib es doch einfach zu! '', entwich es mir. Plötzlich zucktest du zusammen. Hatte ich deinen wunden Punkt getroffen? Verzweifelt sahst du mich an.
Und so stehen wir jetzt da. Ich spüre deinen Blick auf meiner Haut, aber ich bin nicht stark genug, um ihn zu erwidern. „Dann sag mir zumindest, wer es ist! Ist es Maja? Oder Lilli? Nein, sag nicht, es ist Elli!“, rief ich. „Jetzt beruhige dich endlich, ich habe mir das auch nicht ausgesucht!“, platzte es aus dir heraus. „Und wenn du es ganz genau wissen willst, es ist kein Mädchen.“ Du stocktest: „Es ist noch viel schlimmer!“ Ich war fassungslos. Was könnte noch schlimmer sein? „Ist es unsere Unterrichtspraktikantin?“, war alles, was mir dazu noch einfiel. „Hast du nicht gehört, es ist viel schlimmer!“ „Okay, meine Großmutter?“ Kurz lachtest du auf. Wenigsten lachtest du wieder. „Es ist Leo, der Neue in unserer Klasse.“
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