Marathon
Ich wollte laufen. Weiter und immer weiter. Laufen, als gäbe es kein Morgen. Laufen, als gäbe es keine Nacht. Laufen um des Laufens Willen. Laufen für mich, und für alle anderen. Für alle, die nicht mehr laufen konnten, und für alle, die es nie können würden. Und so lief ich. Laufen war mein Hobby, aber eigentlich war es mein Beruf. Nein, meine Bestimmung war es, zu laufen. Was denn auch sonst? Laufen geradeaus, laufen über die Straße, laufen durch das Feld, laufen bis zum Stillstand. Der aber nie kam. Ich wusste er musste kommen, es erschien mir logisch, warum denn auch nicht? So hatte man es mir auch immer gesagt. Aber nichts konnte mich aufhalten. Und so lief ich. Und lief und lief und lief. Und ich lief geradeaus. Keine Kurven, keine Abzweigungen. Warum sollte ich auch etwas ändern? Schließlich habe ich nie etwas anderes gemacht. Schließlich habe ich auch nie etwas anderes gelernt. Und solange ich keine Alternative kenne, laufe ich weiter geradeaus. Solange ich weiter laufe, habe ich ohnehin keine Zeit, um etwas Anderes zu lernen. Ich kann ja gar nichts Anderes lernen! Weil ich laufen muss.
Manchmal, wenn mir langweilig wird, spiele ich Fangen mit dem Horizont. Wir haben einmal eine ganze Woche durchgehend gespielt! Aber ich habe leider verloren. Schon wieder. Und bis wir wieder spielen, übe ich einfach weiter. Immer weiter und weiter und weiter. Immer. Weiter. Laufen. Das Einzige, was mich am Laufen stört, ist, dass es so einsam ist. Ich sehe sonst niemanden. Ok, das ist ein wenig gelogen. Ich sehe schon andere Leute. Sie schauen mich komisch an, wenn ich an ihnen vorbeilaufe. Manche rennen kurz mit mir mit, doch niemand kann mithalten. Und so laufe ich. Manche habe ich sogar zweimal gesehen. Überrunden nennt man das. Ich bevorzuge den Ausdruck „Wiederlaufen“, weil ich dann wieder mit ihnen laufen kann. Oder besser gesagt: wieder an Ihnen vorbei laufen kann. Wenn man einmal die Erde umrundet kommt man schließlich wieder da an, wo man gestartet ist. Doch trotzdem ist alles dann ganz anders. Aber ich möchte sowieso nicht am Startpunkt verweilen. Ich möchte nicht dort bleiben, wo ich schon bin, nicht das machen, was ich schon mache. Menschen brauchen Veränderung im Leben, um glücklich zu sein, ich bin da keine Ausnahme. Menschen wollen sich bewegen, vorankommen. Sie wollen ihren Fortschritt sehen. Sie wollen am Ende des Tages den Kopf über die Schulter drehen, zurückschauen können und sagen „Das bin ich heute gelaufen“. Sie wollen Neues entdecken, neue Wege gehen und mitten drinnen ihren Eigenen finden. Und es ist egal, welchen Weg man geht, in welche Richtung man schaut oder wo man hinkommen will. Es ist sogar nicht wichtig, dass man ein bestimmtes Ziel hat. Man sollte nämlich Mehrere haben, denn die Reise wird nie aufhören. Man muss deswegen nicht genau wissen, wo man hinkommen will. Man muss nur wissen, wie man läuft. Und man muss nur weiter laufen.
Also laufe ich. Weiter, immer weiter. Tag ein, Tag aus.
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