Mehl und Impfstoff
Im Kaffee schwimmen Erinnerungen. Meine Mutter, die beim Küchentisch sitzt, ihr Köper nur noch Knochen, Haut und unreines Blut, eine schwarze Wolke über ihr und ihre Seele immer einen Schritt daneben. Sie trank zu viel Kaffee. Besonders viel trank sie, wenn sie versucht hat mit dem Rauchen aufzuhören.
Vom Fenster aus sehe ich meine Wohnung. Mit dem Kaffee bringen sie mir schon mein Essen, ohne dass ich bestelle. Praktisch, ja, aber auch bedrückend. Heute wollte ich einen Marmeladentoast, aber ich sehe schon den Kellner, wie er mit seinen struppigen Haaren und blauem Hemd mein weiches Ei rüberbringt. Ich sage nie etwas außer Danke und lächle ihn an. Meine Mutter sagte mir immer „Wenn du nichts Positives zum sagen hast sag nichts.“ Deswegen verbrachte ich meine Kindheit in Stille.
Draußen schneit es. Der kalte Schnee, der auf den dreckigen Boden fällt und dort langsam zergeht erinnert mich an die Tränen meiner Mutter vermischt mit dem Blut ihrer Nase, beides tropfte immer ins Waschbecken. Ihre Nase blutete oft.
Die Rechnung fühlt sich immer wieder aufs neue fremd in meinen Händen an. Ich zahle mit einem Zehn€-Schein und erinnere mich, wie meine Mutter sich immer freute, wenn es mein Geburtstag war, weil das Geld, das ich bekommen hatte, ihr half. Ich wusste nie wobei, merkte nur, dass sie nach meinem Geburtstag weniger zitterte und mehr backte, sie hatte immer Mehl unter ihrer Nase. Natürlich weiß ich heute, dass es kein Mehl war, auch nicht das, was Papa blutend nach Hause brachte. Mamas Augen waren auch nie vom Weinen rot und Mama war auch nie impfen.
Draußen auf der Straße sehe ich einen Mann, er erinnert mich an meinen, und seine Beerdigung. Mutter lachte, als sie ihre Hände in die Überreste Papas steckte und die Asche auf unseren dreckigen Küchenboden schmiss, sie tanzte und weinte, schrie unfertige Sätze mit einem seltsamen Lachen. Das war das letzte Mal, als ich sie tanzen gesehen habe.
Meine Schritte hinterlassen Fußabdrücke im Schnee am Weg zur Arbeit. Ich arbeite in einem Museum, ab und zu muss ich in die Menschenmenge „Shh!“ schreien, bekomme ein paar hassende Blicke, aber nichts, was ich nicht schon gewöhnt bin. Mir haben schon immer wenige Menschen zugelächelt. Meine Eltern hingegen waren Sonnenschein und Regenbogen, ich war der Regen. Als mein Vater starb war meine Mutter auch nur noch ein Wolke. Manchmal voll mit einem Gewitter, aber meistens leer. Deswegen war ich meistens im kühlen Schatten oder im Regen. Auch jetzt, wenn sie nicht an meiner Seite ist, sind meine Gedanken an sie gebunden.
Ich wohne noch in der kleinen Wohnung, wo auch meine Mutter mal gewohnt hat. Sie hat ihre meiste Zeit im Bad verbracht, wo sie manchmal das Wasser schwarz färbte, weil sie Tage lang nicht nach Hause gekommen war. Ich habe Glück, dass ihre Eltern diese Wohnung in den 1960ern gekauft haben, sonst hätten wir sie uns nicht leisten können und ich hätte mit ihr in dunklen Ecken geschlafen und wahrscheinlich auch begonnen.
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