Mein Bruder
Wir schreiben das Jahr 2052. Ich lebe mit meiner Familie, bestehend aus meiner Mutter, meinem Vater und meinen zwei Geschwistern, auf dem Planeten TOI-700 d. Wir haben ein erfülltes Leben, mein Vater arbeitet in einer Fabrik, welche sich auf die Produktion von Robotern spezialisiert hat, und verdient sehr gut. Meine Mutter hingegen ist unter der Woche auf Dienstreisen, um mit einem Forscherteam potenziell bewohnbare Himmelskörper zu untersuchen. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Schwester, jedoch nicht zu meinem Bruder. Er ist anders als wir, er ist nicht natürlich auf die Welt gekommen. Mein Vater hat ihn damals selbst entwickelt.
Mittlerweile sind Androiden nicht mehr von Menschen unterscheidbar. Es fing an, dass künstliche Intelligenzen zuerst nur in Produktionen von Handelswaren eingesetzt wurden, danach auch im Verkauf, in sozialen Berufen und schlussendlich waren sie sogar in Familien. Meine Eltern behandeln uns drei Kinder jedoch exakt gleich. Besonders stolz waren sie aber auf meinen Roboter-Bruder. Die schlechte Bindung zwischen ihm und mir begann ab seinem 6. Geburtstag, jeder war erstaunt über seine enorme Intelligenz und er bildete, egal wo wir waren, das Zentrum der Aufmerksamkeit. Ich muss zugeben, dass ich leicht neidisch war, aber ich hatte so ein mulmiges Gefühl, dass irgendetwas nicht mit ihm stimmt. Nachts wachte ich oft auf, nur um zu sehen, dass er vor meinem Bett steht und mich beobachtet. Dies passierte nach der Zeit immer und immer öfter, ich erzählte es meiner Schwester und meinen Eltern, diese meinten aber nur, dass ich mich geehrt fühlen soll und dass kleine Brüder immerhin so sein. Aber ich fühlte keine familiäre Bindung mehr zu dieser Maschine, die ich als mein Fleisch und Blut sehen sollte. Ich hatte regelrechte Panik vor ihm. Ich fühlte mich als würden seine Augen immer auf mich gerichtet sein, auch am Tag beobachtete ich es immer häufiger, dass er mich einfach nur anstarrte.
Eines Tages wurde mir alles zu viel. Getrieben von Angstzuständen holte ich mir aus der Küche ein Messer mit in mein Zimmer und wartete ab. Als ich wie erwartet wieder wach wurde und ihn vor meinem Bett sah, griff ich das Messer und stach mehrmals auf ihn ein. Meine Eltern wurden wach von dem Lärm und stürmten in mein Zimmer. Meine Mutter brach am Boden zusammen, als sie den leblosen Körper meines Bruders sah. Mein Vater schaute zuerst auf das blutrote Messer in meiner Hand, danach rannte er zu seinem Telefon und ich hörte ihn schreien, dass sie mich sofort abschalten sollen.
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