Mein Feind - meine Gedanken
Wieder einmal sitze ich an meinem Fenster und schaue in die dunklen Gassen. Zwei Jungs, ich schätze in meinem Alter, laufen mit JBL-Box in der Hand und Zigarette im Mund durch eine der Gassen. Sie sehen so unbekümmert aus. Wann hab ich das letzte Mal so gelacht wie die beiden? Ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Ein Bettler sitzt an der Bürgersteigkante und betrachtet genügsam die Sterne. Sogar er schafft es, glücklich zu sein. Und ich? Ich sitz hier wie ein Häufchen Elend und versuche mein Leben in den Griff zu bekommen oder es zumindest zu verstehen. Alle meinen, ich solle das Gute sehen und optimistisch sein, aber jedes Mal, wenn ich das versuche, kommen mir meine Gedanken ich die Quere und schreien mir ins Ohr. „Du bist nicht gut genug für diese Welt!“, „Du kriegst nichts auf die Reihe!“, „Schäm dich, wie du aussiehst!“. Und egal was ich versuche, ich kann ihnen nicht entfliehen. Sie jagen mich, wohin ich auch gehe. Ich schreie und versuche zu flüchten, aber so einfach ist das nicht. Kaum hör ich auf zu brüllen, schleichen sie sich wieder ein und flüstern mir zu: „Du bist nicht genug.“
„Rede mit jemandem“, wird dir vorgeschlagen. Aber mit wem? Mit wem soll ich reden, ohne dass er mich für verrückt erklärt, oder mich in die Klapse sperrt? „Das ist nur eine Phase. Da muss jeder mal durch“, erhalte ich oft als Antwort, wenn ich mich jemandem anvertrauen möchte. „Mir geht es gut“, antworte ich darauf, wenn mich jemand fragt. Dieses ewige Erklären und das vorgespielte Mitleid ertrage ich nicht mehr. Ja, ich hab’s versucht, oft sogar. Aber irgendwann fehlt einem die Kraft, immer wieder gegen sich selbst anzukämpfen. Man gewöhnt sich an diesen Dauerzustand der Verzweiflung und schweißt sich diese Worte, die immer wieder in deinem Kopf kreisen, ein.
Manchmal sitz ich in meinem dunklen Zimmer auf meinem Fußboden, mit geöffneter Balkontüre, um die Kälte zu spüren. Oder besser gesagt, um irgendetwas zu spüren. Und dann flüstert es wieder. „Du bist nicht genug.“ Und ich schreie: „Geh, bitte! Geh und komm nie wieder! Lass mich in Ruhe und such dir ein anderes Opfer!“ Oft hilft es für kurze Zeit, um es zu übertönen, aber nicht lange. Nach ein paar Minuten kreist es wieder über mir.
Vielleicht soll es so sein. Vielleicht will irgendjemand da draußen, dass ich mich schlecht fühle, und vielleicht haben diese Gespenster in meinem Kopf ja auch Recht und ich bin wirklich nicht genug. Wer weiß das schon? Manchmal hoffe ich, dass es da jemanden gibt, der mich beobachtet. Dann wäre ich nicht ganz so allein, wie ich mich so oft fühle. Ob sich jemals etwas daran ändern wird? Ob ich jemals wieder lachend mit meinen Freunden durch die Nächte spazieren werde? Oder ob ich jemals wieder in den Spiegel schauen kann, ohne dass sich die Tränen in meinen Augen stauen? Ich kann es dir nicht sagen und je mehr ich darüber nachdenke, wieder ein normales Leben zu leben, desto mehr schreien die Gedanken: „Du bist nicht genug und für nichts zu gebrauchen!“
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