Mein Genug-Moment
Menschen haben verschiedene Wege um zu zeigen, dass es genug für sie ist. Während manche wutentbrannt eine ganze Stadt verwüsten könnten, ziehen sich andere in sich zurück.
Mein Genug-Moment war kurz vor Schulschluss. Es hatte einunddreißig Grad und selbst die Lehrer hatten es schon aufgegeben den Schülern ihr Wissen ins Gehirn quetschen zu wollen. Die Schüler redeten schon über ihre Pläne in den Sommerferien und was sie im nächsten Jahr alles vor hatten. Das ganze zweite Semester war ich aufgrund eines Streits bei manchen Leuten in der Klasse ziemlich unbeliebt. Nur zwei oder drei redeten hin und wieder mit mir, wenn gerade niemand anderer da war und so saß ich allein auf einer Bank, die etwas abseits von den anderen vor der Schule stand.
Nachdem ich eine Zeit lang einfach nur dasaß und das Wetter auf mich wirken ließ, bekam ich Durst und ging mit meiner Trinkflasche auf die Toilette, um dort Wasser nachzufüllen. Kaum fiel die Tür hinter mir zu, rutschte ich auf einem Stück Klopapier, das am Boden lag, aus und fiel der Länge nach hin. Mit den Händen fing ich mich auf, doch das Problem war, dass in einer die Glasflasche lag und mit einem lauten Klirren am Boden in tausend Splitter zerbrach.
Außer einer kleinen Schramme am Kinn hatte ich mir nicht wehgetan. Mit einem Seufzer begann ich die Glasscherben aufzusammeln, bis meine Hände von kleinen Schnitten übersäht waren.
Hinter mir ging die Tür auf und zwei Mädchen aus meiner Klasse standen vor mir. Zuerst zuckten ihre Mundwinkel nur ein wenig, doch nach einem Blickwechsel verschwanden sie lautschalllachend wieder im Gang.
Ich blieb alleine sitzen und sammelte mit Tränen in den Augen weitere Splitter vom Boden auf. Meine Sicht verschwamm und so fiel es mir noch schwerer mich nicht an den scharfen Kanten zu schneiden.
Es war nicht die Tatsache, dass die Mädchen gelacht hatten oder dass die Flasche zerbrochen war, die mich so aufwühlte. Es war die Einsamkeit danach. Ich wartete und wartete darauf, dass irgendwer kam, sich zu mir kniete und mir half die Scherben wegzuräumen.
Eine Minute, zwei. Fünf. Zehn. Eine Viertelstunde.
Nach siebzehn Minuten wurde mir klar: Niemand würde kommen. Ich war allein und es war allen komplett egal, wie sehr ich verletzt war, abgesehen von den Kratzern.
Weinend schrie ich den ganzen Frust aus mir heraus und ich wollte eine Antwort, doch alles außer meinem Geschrei, das an den Wänden widerhallte, war nichts zu hören.
Mein Genug-Moment. Durch so etwas Banales wie eine Flasche ausgelöst und obwohl es mir nach ein paar Monaten wieder besser ging, würde ich diesen Moment der Demütigung nie wieder vergessen.
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