Mein Tag
Die Glocke läutet. Eingehüllt in eine Masse von Jugendlichen rase ich aus der Schule. Mein Vater wartet schon. Ich lasse mich in das weiche Leder fallen und beobachte andere Schüler bei ihren Mopeds. Als ich meine Freundin entdecke, blicke ich verärgert weg. Natürlich, ich muss mit dem Auto fahren.
Von weitem erkenne ich unser Haus. Noch immer in schlechter Laune sperre ich die Eichentüre auf. Im geräumigen Vorzimmer ziehe ich meine Schuhe aus und stelle sie zu den anderen ein Dutzend Paar. Ich habe Hunger. In der Küche öffne ich den Kühlschrank. Anscheinend wurde auf mich vergessen. Das Mittagessen fehlt. Weder der Auflauf von gestern, die Tomaten aus dem Garten, der Käse, die Mandelmilch, noch der Couscoussalad sprechen mich an. – Nie haben wir etwas zu Hause, das mir schmeckt.
Während ich auf dem breiten Sofa verärgert den Auflauf von gestern verschlinge, zappe ich durch die vielen Kanäle. – Wie immer spielt es nichts Spannendes. Den leeren Teller lasse ich stehen. Die Stiegen in den dritten Stock kommen mir ewig vor. – Warum muss mein Zimmer auch so weit oben liegen? Die Hausübung ist eine Erfindung der Lehrer die Schüler zu quälen. Ich schleudere die Bücher in eine Ecke meines Zimmers. Der Papagei ist durch den Lärm aufgewacht und beginnt aufgeregt im Käfig auf und ab zu fliegen. Meine Konzentration ist am Ende.
Im hellen Wohnzimmer ist es still. Ich höre den Schlüssel im Schloss und erblicke auch schon meinen Bruder und seine Freunde. – Meine Mutter beginnt von ihrer Arbeit zu erzählen. Das Kichern der Buben ist unerträglich. Genervt verlasse ich den Raum. Wohin denn, sonst gibt es doch nirgends einen Platz in diesem Haus. Im Arbeitszimmer sitzt mein Vater, im Spielezimmer gibt es keinen großen Tisch, im hellen Wohnzimmer spielt mein Bruder, in meinem Zimmer ist der Papagei zu laut, die Couch im Lesezimmer ist mir zu ungemütlich und das Zimmer meiner Eltern darf ich nicht betreten.
Draußen im Garten stört mich das Zwitschern der Vögel aus Wald. Im Musikzimmer am Flügel finde ich endlich meine Ruhe. Als ich genug von Vektoren habe, gehe ich zurück in das helle Wohnzimmer. Ich verlange von meiner Mutter mein Taschengeld für diesen Monat. Unzufrieden nehme ich die dreißig Euro entgegen und bringe sie in mein Zimmer. – Meine Freundin bekommt doppelt so viel und hat ein eigenes Moped.
Ich öffne meinen begehbaren Kleiderschrank um mir ein Gewand für den kommenden Tag auszusuchen. Keine meiner zweiundzwanzig Hosen scheint mir dafür angemessen. Ich betrachte den Gewandhaufen in der Mitte meines Zimmers und knalle die Kastentüre zu. – Ich habe hässliches Gewand.
Abends, nach meiner Klavierstunde, möchte ich Musik hören und kann meine Kopfhörer nicht finden. – Wahrscheinlich hat die Putzfrau sie wieder falsch weggeräumt. Müde steige ich in mein extralarges Doppelbett und schlafe ein.
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