Mein Tempolimit
„Patrick, hör auf mit deinen Spielzeugautos zu spielen, wir sind schon zu spät für den Kindergarten!“
„Kann ich aber mit Marios Autos spielen?“, kam mir auf die unschuldigste Art entgegen, die ich mir vorstellen konnte. Ich habe allerdings gehofft, dass „Der Frühe Vogel fängt den Wurm“ nicht auf plumpe Versuche der Befehlsverweigerung zutrifft, aber ich wurde eines Besseren belehrt. Da kam mir aber plötzlich etwas anderes entgegen: die grüne Vase, die mittels einer fragilen Konstruktion an einer Schnur befestigt war. Das durch ein mühsames Gießen im Kaffeezombiestadion dorthin und von dort in den Untersetzer beförderte überflüssige Wasser endete schlussendlich am Boden.
Nervig, aber mit drei Taschentüchern und ein paar Sekunden war’s in einem überraschend schnellen Tempo erledigt und ich begleitete mit besagter Geschwindigkeit den Junior in den Kindergarten, wo wir unterwegs fast von einem wahrscheinlich intoxikierten Motorradfahrer erwischt wurden, der mit mindestens 100 km/h an uns vorbeiraste.
„Papa?“
„Ja, mein Kind?“
„Was heißt Tempo?“
Diese Frage ist mir noch nie zuvor über den Weg gelaufen, ich musste mir schnell irgendeine Antwort überlegen, aber mein Hirn ist von den vielen schlaflosen Nächten eingerostet.
„Ist das schnell?“
Komm schon, irgendwas. .
„Ist es rot und cool?“
„Erm. .“
Im Endeffekt verließ die unphyskalischste Antwort mein Stimmorgan, die die Welt je gesehen hatte, die jedoch meinen Sohn zufrieden stellte und ich entließ ihn in die Gesellschaft seiner Freunde. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass er seinem Freund Will einen selbstgebastelten Helm aufsetzte.
Mir ging’s wirklich nicht gut, deswegen fiel mir das hässliche Gebäude am Straßenrand, das mich sonst immer halb zur Weißglut bringt, gar nicht auf und ich kehre vier Taschentücher leichter erschöpft in meine gemietete Neubauwohnung zurück, wo ich mir und meinem ebenfalls kranken und mit Fieber im Bett liegenden älteren Sohn einen Tee machte. Bei all dem Stress vergaß ich, neue Tücher aus dem nächstliegenden Geschäft zu holen, also blieb mir nur noch die kleine Packung in der linken Hosentasche. Ich versuchte aus Mario eine sinnvolle Art den Begriff Tempo zu erklären herauszuholen, bekam allerdings nur das mir schon bekannte typische Raunzen eines Teenagers zurück, also war das jetzt endgültig mein Problem.
Meine Seele verließ meinen Körper, als ich mich daran erinnerte, dass ich mir noch eine Krankschreibung vom Arzt holen muss, ach, ich hasse Montage. .
Ein Kreuzfeuer von in diesem Saal durch Husten und Niesen rasch verbreitete Erreger und eine halbe Stunde später hatte ich meine Krankschreibung und schickte sie meinem Arbeitgeber. Ich wollte gerade ein Taschentuch zur Hand nehmen, doch dann bemerkte ich, dass ich meinen Vorrat beim Arzt endgültig aufgebraucht hatte, alle 9. Ich starrte auf die nun leere Verpackung, das Wort, das mich schon den ganzen Tag verfolgte, lachte mich an.
Ich ging zum nächsten Supermarkt Milch und neue Tücher holen, denn ich hatte mein Tempolimit erreicht.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:




















Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX