Meine letzte Liebe
Ich weiß nicht, wie diese Geschichte enden wird, aber sie beginnt damit, dass ich sterbe.
Ich erinnere mich noch teilweise an unsere Konversation. „Geh bitte! Immer bist du so langsam“, und „Geh bitte! Immer musst du alles vergessen!“ Jetzt sitzen wir nebeneinander, Hand in Hand, und warten auf das Unvermeidliche. Den Tod. Schnell noch warf ich einen Blick neben mich. Ich blickte in zwei Augen. Die Augen die ich liebte, die mir bekannt waren. Diese sagten jetzt: „Es tut mir leid!“ Etwas, dass unnötig scheint, wenn man weiß, dass man bald stirbt. Ich drückte die Hand die in meiner lag, die weiche, warme Hand. Sie drückte zurück. Ein vertrautes Gefühl. Und damit prallten wir auf. Die Turbinen knallten und Rauch schoss durch die Kabinen. Ich hörte husten, keuchen, weinen. Und dann nichts. Aber nur für einen Moment. Dann hörte ich wieder. Husten, keuchen, weinen. Aber diesmal war es nur eine Stimme. Nur ein geplagter, müder, verletzter Mensch. Mein geplagter, müder verletzter Mensch. Ich hörte schluchzen. Verwirrt schaute ich mich um. Doch niemand schien mich zu beachten, oder konnten sie mich gar nicht sehen? War das die Nachwelt? Vergessen und ungesehen verlässt man die Welt. Warum sehen mich die Augen die mich jeden Tag sahen, nicht mehr. Warum hören die Ohren die meine Geschichten genossen, mein Schreien nicht. Ich sah wie eine Träne das perfekte Gesicht runterrollte. Konnte ich sie fühlen? Langsam brachte ich meine Hand zu der Träne. Kurz bevor ich bei der Wange und damit bei der Träne ankam, hörte ich ein Pochen. Bum Bum Bum Bum. Ich fühlte eine unvertraute Hand auf meinem Hals. Eine raue, unachtsame Hand. Ich hörte nicht was der Besitzer der Hand sagte, aber ich hörte die Person, der ich meine Liebe gegeben hatte, laut schluchzen. Niemand hatte Zeit andere Leute zu trösten. Jeder verlor an diesem Freitagabend etwas. Die Frau aus 35C verlor ihre Tochter aus 35B und ihren Mann aus 35A. Der junge Mann aus 12E verlor ihren Arm. Und das Mädchen aus 23D verlor ihre Katze. Im Check-in hatte sie dem Flugbegleiter noch stolz erzählt, dass er immer zu ihr zurückkommen würde, wenn sie ihn jeden Tag rauslässt. Ich wandte mich zu meinem ein und alles. Ich sagte, obwohl ich wusste, dass niemand mich hörte: „Wein nicht. Bitte hör auf zu weinen. Geh bitte, du weißt, dass ich es hasse, wenn du weinst. Bitte, bitte hör auf!“ Ich nahm ein letztes Schniffeln wahr, bevor alles schwarz wurde. Ich hörte: „Ich liebe dich, ich hoffe, du weißt, wie sehr ich dich liebe! Geh bitte nicht!“ Und damit wurde es still, bevor ich in einen hellen Raum kam. Ich wurde geblendet, und dann sah ich das Mädchen aus 35B und den Mann aus 35A. Ich spürte etwas bei meinen Beinen und sah die treue Katze des Mädchens aus 23D. Viele Menschen saßen in einem Kreis, sie luden mich ein und ich setzte mich dazu. Ich fühlte mich daheim und wusste, dass es der Liebe meines Lebens, meines vergangenen Lebens, gut gehen würde. Ich wusste Verlust ist schmerzhaft, aber nicht unüberwindbar.
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