Meine Stimme
Ich bin ein Mensch, ein Mensch, der viel zu oft Laute in Form von Worten ausstößt, bevor er seine kleinen, grauen Zellen anstrengt und zu denken beginnt. Ein Mensch, dessen Hals oder besser dessen Stimmbänder Laute formen können, die andere Menschen verletzen, erheitern, verärgern können: je nachdem, was mein nicht schnell genug denkender Kopf gerade aufgenommen hat. Mein Gegenüber könnte mich beleidigt haben. Und nun bin ich sauer, will mich wehren und schlage mit Worten um mich, ohne mein Gehirn einzusetzen beziehungsweise intelligent zu erwidern, ohne einen anderen Weg statt den mit Beleidigungen gepflasterten zu finden.
Mein Gegenüber könnte jedoch auch etwas mich Belustigendes ausgesprochen haben, auf das ich sofort mit einem Laut, wie einem „Haha“ antworte. Es wäre möglich, diesen Menschen damit zu verunsichern, zu verärgern oder auch zum Lachen zu bringen. Das alles wäre denkbar oder könnte passieren. Ist es nicht gut, in den meisten Fällen spontan zu artikulieren und seine Stimmbänder zu benutzen, noch bevor man sinniert und so zu offenbaren, was in einem wirklich vorgeht?
Ich bin ein Mensch, ein Mensch, der genau das tut, denn mir ist bewusst, würde ich meine kleinen, grauen Zellen anstrengen, bevor ich diese Worte aus Lauten in meinem Hals forme, würde mir sicher oft die eine oder andere kontroverse Situation erspart bleiben. Genauso glasklar ist mir, dass ich so einige meiner Aussagen nicht tätigen würde, würde ich länger nachdenken, meinen Kopf benutzen. Das könnte dann dazu führen, dass ich vieles, was mir wirklich am Herzen liegt, gar nicht ausspräche.
Planbar ist das alles aber nicht! Es wäre einfach zu perfekt, immer das Richtige zu sagen. Wie wäre es, in gewissen Situationen einfach nur zu artikulieren, was man denkt. Vermutlich würde man sich dann zumeist besser oder befreiter fühlen, als wenn man in gewissen anderen Situationen sein Gehirn erst einmal dreifach auf Hochtouren fahren lässt, um Konflikte geschickt zu vermeiden oder gar zu lösen, um andere nicht zu verletzten oder einfach nur, um sich nicht zu blamieren.
Führe ich ein Vorstellungsgespräch, dann überlege ich mir haargenau, welche Ausdrücke ich wähle, damit ich den bestmöglichen Eindruck hinterlasse. Befinde ich mich unter Freunden und Vertrauten, dann ist es mir egal, welche Worte meine Lippen verlassen, denn ihnen kann ich meine wahren Gedanken anvertrauen, meine Meinung gestehen. Doch dem Bankmanager werde ich wohl kaum offenbaren, dass ich ein Mensch bin, für den Pünktlichkeit nicht die oberste Priorität hat. Meinen Freunden und Vertrauten dagegen sage ich klipp und klar: Erwartet mich nicht früher. Ich komme minimal 5 Minuten später als verabredet. Dann spricht mein wahres Ich: der Mensch, der ich bin und nicht die Person, die immer erst sinniert, bevor sie das Durchdachte wohlgeformt artikuliert. Dann bin ich der Mensch, der so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Dann funktioniert mein Körper nach dem Prinzip „zuerst mein Hals dann mein Kopf".
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:




















Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX