Meine Welt blieb stehen
Als du starbst brach meine Welt in kleine Stücke. Stück für Stück zerfiel alles, was wir gemeinsam aufgebaut hatten. Die Welt drehte sich weiter, doch für mich blieb sie stehen. Dutzende Gedanken schossen mir durch den Kopf und es fühlte sich an, als wäre ich für einen Moment bloß Zuschauer meines eigenen Lebens. Ich konnte alles, was um mich herum geschah sehen und hören, aber körperlich war ich abwesend.
Ich klammerte mich an all die Einzelheiten, seine blauen Augen, sein weißes Haar und an sein warmherziges Lächeln, denn all dies möchte ich für immer bewahren. Auch strömten unendlich viele Erinnerungen durch meinen Kopf, von seiner Stimme, den unzähligen Momenten, seinen Umarmungen, bei denen man sich wie Zuhause fühlte, bis hin zu dem Gefühl von ihm geliebt worden zu sein.
All das geht mir durch den Kopf, wenn mich Leute fragen, ob alles gut sei. Doch wie kann es das sein, wenn ich Tag für Tag nichts mehr will als, dass die Welt kurz stehen bliebe und mir einen Atemzug Ruhe schenken würde. Nur für einen Moment wünsche ich mir Stille. Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich die Zeit zurückdrehen und alles anders machen. Doch am schmerzhaftesten ist die Erkenntnis, dass dieser Wunsch niemals Wirklichkeit werden kann.
Jeden Tag ist er das Erste und das Letzte an das ich denke. All jene Erinnerungen geben mir Halt und machen mich glücklich, sie erlebt haben zu dürfen. Gleichzeitig sind da so viele andere Momente, die er nie erleben wird und das bricht mich innerlich. Denn wie können die besten Menschen so früh sterben?
Bei der Beerdigung meinten alle, sie wären für einen da, doch nach wenigen Tagen hörte man von ihnen nichts mehr. Manchmal macht es mich traurig, wenn andere von ihren Familienmitgliedern erzählen. Doch gerade in solchen Momenten wünsche ich mir, dass man mich nach meinen fragt – damit sie weiterleben. Denn mein größter Albtraum ist, dass sie eines Tages vergessen werden.
An jenem Tag hab ich die Welt angefleht, stehenzubleiben, doch sie tat es nicht. Während meine Welt zerbrach drehte sich alles um mich herum weiter. Ich hatte keine andere Wahl als irgendwie zu überleben und mich dem Tempo anzupassen. Doch bis heute ist meine Welt aus dem Takt geraten - sie bewegt sich nicht mehr wie damals.
Ich glaube, sie wird nie mehr so wie früher. Doch vielleicht, ganz vielleicht gibt es eine kleine Chance, dass mich die Zeit lehrt mit dem Verlust umzugehen und mir zeigt, wie ich mich anpassen kann.
Bis dahin werde ich weiterleben, denn jede Sekunde, die ich auf dieser Welt verbringe, ist eine weniger bis ich ihn wieder sehen kann.
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