Meine Welt - Deine Welt
Hier sitze ich nun, trommle mit den Fingernägeln auf den Schreibtisch und starre den Computer an. Mühsam unterdrücke ich ein Gähnen. Bloß nicht dabei erwischen lassen! Praktikanten haben fit und ausgeschlafen zu sein! Mein Blick fällt auf die Uhrzeit unten rechts. 8: 30 Uhr.
Bis zum Feierabend sind es nur noch sieben Stunden und dreißig Minuten, jubelt mein optimistisches Ich.
Voller Langeweile, ergänzt mein pessimistisches Ich.
Die beiden sind sich ja mal wieder einig.
"Sind sie bereit? Ich hätte da eine Aufgabe für sie", ertönt es hinter mir. Ich drehe mich mit einem, hoffentlich nicht zu künstlichem, Lächeln um.
"Natürlich"
Kopieren. Es war immer das Gleiche! Mehr traute man einer einfachen Praktikantin wie mir einfach nicht zu. Mir soll es recht sein. Immerhin war die Aufgabe anspruchslos genug, um Platz für eigene Gedanken zu lassen.
Während die Blätter durch den Einzug laufen, lasse ich eben jenen freien Lauf. Ich schaue nach Draußen. Direkt mir gegenüber steht eine alte Trauerweide. Sie erinnert mich an eine Szene aus einer meiner Geschichten:
Schon lange betrachtete er das Mädchen vor ihm. Sie lag im Gras, die langen schwarzen Haare wie ein Fächer um ihren Kopf ausgebreitet. Auf ihren Lippen lag ein zufriedenes Lächeln und die schönen violetten Augen waren geschlossen. Er selbst saß daneben und konnte es kaum glauben, dass er dieses hübsche Mädchen seine Freundin nennen durfte. "Was schaust du so? ", fragte sie und öffnete die Augen. "Nichts", gab ich grinsend zurück. Diese Ruhe ist so angenehm, dachte ich. Die Blätter der alten Trauerweide über ihnen raschelten leise im Wind und das Gras war angenehm weich und duftete herrlich. "Ab morgen war es das mit der Ruhe. . . ", murmelte das Mädchen. "Denk nicht drüber nach", erwiderte ich. "Was soll ich denn stattdessen tun? ", fragte sie wohl wissend was jetzt kommen würde. Er senkte seinen Kopf. Ihre Lippen näherten sich. . .
Als sich die Tür hinter mir öffnet, zucke ich zusammen. Es war ein Kollege. Ein komischer Kauz!
"Oh Verzeihung. "
"Bin grade fertig geworden"
Ich sammle die Blätter ein und verlasse eilig den Raum mit dem Kopierer. In meinem Büro schlägt mir der Geruch nach Kaffee und Druckertinte entgegen. Vertrieben wird der Duft von frischem Gras und Wind.
Meine Laune? Auf dem Tiefpunkt!
Ich setzte meine Arbeit fort, doch ich kann nicht verhindern, dass meine Gedanken immer wieder zu meinen Geschichten abdriften. Doch ich muss vorsichtig sein! Ich darf nicht Lachen, Seufzen oder gar Lächeln! Sonst würde er nachfragen wieso und ich will ihm nicht antworten. Das ist meine Welt, die ich mir geschaffen habe!
Der Tag zieht sich hin, aber auch er endet. Ich verlasse mit einem erleichterten Seufzer das Büro. Nun ab nach Hause!
Dort angekommen schalte ich unverzüglich meinen PC an. Raus aus den formellen Klamotten, Kopfhörer aufsetzten, Musik an.
Dann endlich öffne ich den Ordner. Den Ordner zu meiner eigenen kleinen Welt.
Hier will ich bleiben! Denn ich hab genug von dieser Welt!
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