Menschen in Weiß
Ein Trippeln, ein Rennen. Es hallt durch den grauen Innenhof und bricht die Stille, die schon seit den frühen Morgenstunden auf diesem Ort lastet. Das Kindergeschrei, das folgt, vertreibt die Schwermut wie der Wind, der in diesen Herbsttagen die rotbraunen Blätter davonwirbelt, um sie anderswo wieder abzuladen.
Rasch, nach dem nächsten Abenteuer suchend, wird jeder Baum erklettert, der Sandkasten umgegraben, es wird entdeckt und stolz präsentiert. Wer sind bloß diese kleinen Menschen, die, beflügelt von Gefühlen, die das Herz höher schlagen lassen, sich für den Moment so sehr begeistern können? Ohne Rücksicht auf Verluste erklimmen sie jede Mauer und jeden Baum, stürzen sich ins Abenteuer wie ein von der Klippe geworfener, ins Wasser platschender Stein. Sie sind wahrhaftig frei. Frei von einschränkenden Gedanken, frei von Zweifel, frei von Sorge. Frei.
Das Geschrei wird lauter: „Robert, Robert, Robert!“. Ein Junge steht in gut drei Metern Höhe auf einem der dicken Äste der Pappel in der Mitte des Hofes. Sichtlich stolz auf seine Leistung, alle Zahnlücken zeigend, setzt er dazu an, es nicht bei diesen drei Metern zu belassen. „Kommt mit!“, ruft er und klettert gleich auf den nächsthöheren Ast. Doch der kindliche Übermut rächt sich schnell. Der Ast trägt ihn nicht, bricht und der eben noch so Stolze stürzt in die Tiefe. Das eben noch weiße Hemd färbt sich braun in der Pfütze, die ihn auffängt. Auf den geschockten Blick, den er und seine Freunde teilen, folgt der Schmerzensschrei und mit einigen Zellen in seinen Knien und in seiner Wirbelsäule stirbt seine Freude am Bäumeklettern. Genau wie das Mädchen, das sich im Sandkasten an der Tonscherbe geschnitten hat, oder der kleine Junge, der mit einer Wespe spielte und von ihr gestochen wurde, verliert er die Sorglosigkeit.
Doch stirbt damit auch die Neugier? Bleibt die Sorge an ihm kleben wie der Dreck an seinem Hemd? Er würde nie wieder auf Bäume klettern, den Stolz in der Höhe erleben, beflügelt sein, von Gefühlen, die das Herz höher schlagen lassen… Stattdessen säße er zu Hause: ängstlich wie manch Alter, den die Überzeugung quält, dass die Welt zu gefährlich sei um sie zu erkunden. Nein!
Der Fleck von Sorge darf nicht bleiben! Denn die Sorge ist es, die unsere Neugier zum Erlöschen bringt. Es ist die Neugier, die uns auf den Berg treibt und die Aussicht ermöglicht. Es ist die Neugier, die uns beflügelt. Es ist die Neugier, die unverzichtbar ist. Denn wer befleckt von Sorge die Schwärze des Loches in seinem Leben in Kauf nimmt, der wird zum Gegenstück der Menschen in Weiß, die von dem Erlebnis die Erfahrung nehmen, den braunen Fleck der Sorge wegwaschen um sie sich zu bewahren, die Fähigkeit sich Hals über Kopf in ein Abenteuer zu stürzen und Gefühle zu fühlen, die das Herz höher schlagen lassen.
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