Morgentau
Leben. Leben leben. Leben war einfach. Leben war kompliziert. Leben war eine Reihe wiederkehrender, sich ständig wiederholender Ereignisse. Aufwachen. Aufstehen. Fünf Schritte nach vorne, drei nach links, die Treppe hinunter. Frühstück. Wieder hinauf. Anziehen. Zähne putzen. Zur Arbeit. Eine Aneinanderreihung logischer, normaler Vorgänge. Doch wozu? Weil der Kopf sagt, was er sagt? Man dachte nicht. Man lebte in einem Schema. Tagein, tagaus. Doch was war dieses Schema? War es Leben? Oder war es Überleben? Überleben in einer Gesellschaft, die uns unterbewusst vorschreibt, was wir tun sollen. Einer Gesellschaft, die uns beibringt, was wir tun und was wir lassen sollen. Ist Leben also Schema und somit Überleben? Leben wir in einer Diktatur des Überlebens? Ist dies alles Trieb einer Spezies, die ohne Schemen und Rhythmen nicht überleben könnte? Ja, kompliziert war einfach und einfach war kompliziert. Kompliziert war das Überleben in der freien Natur, unser natürlichster Trieb, der uns stetig verlernt wurde, das Einfachste, was es im Leben gab. Und einfach? Einfach war das Überleben in einer uns beigebrachten Welt, die nichts mehr mit uns zu tun hatte. Einfach war das gewohnte Schema, der Rhythmus. Der Rhythmus der Musik, die durch unser Leben plätscherte. Musik. Musik. Lebenselixier. Überlebenselixier. Denn Musik, was ist Musik? Musik ist der Klang des Lebens. Musik war das Plätschern der Bäche und Singen der Vögel. Musik ist eine Mischung aus Klassik, Rock und Straßenlärm. Musik. Geräusche. Gewohnheit. Klang des Lebens. Musik ist. Musik war. Musik ist nicht, was Musik war. Und der Kopf, der sagte, was er immer sagte. Zur Arbeit müsste man, sich waschen müsste man, pünktlich sein müsste man, normal sein müsste man. Normal? Normal. Nicht abnormal. Denn abnormal war nicht normal und normal nicht abnormal. Was war abnormal und was normal? Normal war die Gesellschaft, abnormal alles, was nicht Teil der Gesellschaft war. Also sagte der Kopf, man müsste wie die Gesellschaft sein. Gesellschaft? Ja, Gesellschaft. Aber nicht vergangene oder zukünftige oder ungewohnte Gesellschaft, eben normale Gesellschaft. Normale Gesellschaft gleich heutige Gesellschaft. Gesellschaft davor? Abnormal und verstoßen. Und daher war die normale die abnormale Gesellschaft. Gleichzeitig. Normale Gesellschaft war verstoßene Gesellschaft gewesen und würde wieder verstoßene Gesellschaft werden. War. Ist. Gegenwart. Vergangenheit. Wenn Gegenwart gleich Vergangenheit gleich Zukunft, wozu dann Zeit? Wozu Zeit erfinden, wozu Zeit festhalten? Wozu denken, wenn Gedanken bald Vergangenheit? Also lieber sein. Sein. Sein ist auch Zeit. Sein war auch Zeit. Aber sein ist jetzt. Und jetzt ist Gegenwart. Sein ist gut. Sein ist nicht die Gesellschaft. Sein ist nicht der Kopf. Sein ist der Ursprung. Gab es etwas vor dem Sein? Das ist unbekannt. Es ist auch nicht. Vor dem Sein kann nichts sein.
Nicht denken. Kein Kopf. Loslassen. Neues suchen. Spontan. Das ist Sein. Das ist Hals über Kopf.
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