Mutig sein. von Anna Bauer
e i n s-
Das Papier der Zeitung raschelt zwischen deinen Fingern, als du umblätterst. Druckertintenschwarze Finger hast du. Das kommt davon, dass du beim Lesen mit den Fingern immer die Zeilen entlangfahren musst. Aus Angst etwas Wichtiges zu überlesen, die Zeile zu verlieren. Die Details sind wichtig, sagst du immer. Die kleinen Überschriften, die irgendwo am Rande stehen, die liest du gerne laut vor. Wieder Tote bei Kämpfen/ Häusliche Gewalt nimmt zu/ Ölteppich breitet sich aus. Du redest schnell, ich sehe, wie feiner Spucksprühnebel auf das Zeitungspapier rieselt. Wenn du Zeitung liest, dann liest du immer nur die kurzen Artikel. Die, die man gerne übersieht. Besonders die, hast du mir einmal erzählt, darf man nicht ignorieren. Besonders die sind wichtig. Deine Finger umklammern die Zeitung, knicken das Papier. Als dir auffällt, was du tust, legst du die Zeitung auf deinen Schoß und glättest sie vorsichtig. Schließlich schaust du auf. Wir müssen mutig sein, stellst du fest und siehst mich an. Warum? , höre ich mich fragen. Manchmal, da sagst du Dinge ohne Kontext und wenn du das tust, dann verstehe ich nicht. Weil, antwortest du, weil die Welt mutige Menschen braucht. Oder auch: weil die Menschen ängstlich geworden sind. Ich lese jeden Tag von ihrer Angst. In der Zeitung. Deine tintenschwarzen Finger tasten nach meiner Hand, drücken sie. Es ist eine stille Übereinkunft zwischen dir und mir, das mit dem mutig sein.
z w e i-
Im Hallenbad riecht es nach kaltem Chlorwasser. Es gibt einen Sprungturm, dort im Hallenbad, und wir stehen oben. Du vorne beim Sprungbrett, noch wippst du auf und ab, dann springst du schon. Dein Körper wirbelt durch die Luft, du fällst. Das Wasser schließt sich leise über deinem Körper. Ich klammere mich an das Sprungturmgeländer, kann mich nicht dazu überwinden das Sprungbrett zu betreten. Eine feine Gänsehaut überzieht meinen Arm, ich weiß nicht, ob es an der Hallenbadkühle oder an meiner Angst liegt. Wir müssen mutig sein, meine ich dich zu mir heraufrufen zu hören, aber das rauschende Blut in meinen Ohren verschluckt die Welt. Ich schaue nach unten ins Becken, dein Kopf ist ein kleiner Punkt in einem großen Blau. Hoch ist er, der Sprungturm, zu hoch. Wir müssen mutig sein, denke ich und drehe mich um. Die Metallstufen des Sprungturm sind kalt unter meinen Füßen. Als ich unten ankomme, da stehst du schon da. Warum bist du nicht gesprungen? , fragst du und es klingt vorwurfsvoll. Um deine Füße hat sich eine kleine Chlorwasserlacke gebildet. Weil ich mutig war, sage ich, ich habe mich gegen deine Erwartung gewehrt. Deine Umarmung ist nasskalt, aber das macht nichts.
d r e i-
Das Sonnenlicht fällt in gesprenkelten Punkten durchs Blätterdach. Die Schuhe sind schwer, der Morast klebt an den Schuhsohlen. Die Pflanzen wachsen hoch hier, dir bis zu den Knien, mir bis zu den Oberschenkeln. Das Weitergehen ist mühsam, ein Ast peitscht mir ins Gesicht, ich kneife die Augen zusammen. Wir müssen mutig sein, hast du gesagt und meine Hand genommen und dann haben wir den bekannten Weg verlassen. Anfangs ist es auch schön gewesen, dieses irgendwo sein. Nur umdrehen haben wir nicht mehr können, als es beschwerlich geworden ist. Weil, wenn man auf gut Glück losgeht, dann gibt es keinen Weg, der einen zum Ausgangspunkt zurückführt. Ich bleibe stehen, du auch. Der Wind streichelt grüne Blätter, fährt mir durch die Haare. Wo sind wir? , erkundigst du dich und keiner von uns beiden weiß eine Antwort. Ich merke, wie in dir Panik hochkriecht. Wir müssen mutig sein, denke ich und greife nach deiner Hand. Vertrau mir, bitte ich dich und dann höre ich auf meinen Bauch und ich weiß, er führt uns sicher. Als wir wieder den Kies des Weges unter unseren Füßen haben, atmest du erleichtert auf.
v i e r-
Das Türschloss quietscht, als du die Tür aufsperrst. Das war mein Kinderzimmer, hast du mir zuvor erzählt, und irgendwann habe ich es nicht mehr gebraucht und die Tür geschlossen und nie wieder geöffnet. Du hast mich vor Chaos gewarnt, aber meine Vorstellung ist bei Weitem nicht an das herangekommen, was hinter der Tür liegt. Ein grauer Staubteppich, der wie still gefallener Schnee alles bedeckt. Möbel, Bücher, Spielzeuge. Nur die Konturen lassen mich erahnen, was unter dem Staub liegt. Wir müssen es nicht aufräumen, meinst du, als du meinen schockstarren Blick siehst. Wir können die Tür auch wieder zusperren und nicht mehr öffnen. Dein Angebot klingt verlockend, aber ich gehe nicht darauf ein. Nein, erwidere ich, wir müssen mutig sein. Es sind mühevolle Stunden in dem Zimmer, das einst deines war. Wir putzen und wischen und saugen und ordnen. Aber als die Ordnung die Oberhand gewinnt, da sehe ich wie sich der Schleier in deinen Augen lichtet. Du siehst die Welt wieder klarer, jetzt wo die Vergangenheit entrümpelt wurde.
f ü n f-
Die Zeitung ist dick heute. Deine Finger fahren aufmerksam die Worte entlang, die in Zeilen gesteckt wurden. Plötzlich richtest du deinen Kopf auf und siehst mich an, du wirkst zerstreut. So wie jemand, der etwas verstanden hat, das ihm zuvor stets entgangen war. Wir sind nicht mutig, sagst du. Ich habe heute nicht nur die kleinen Nachrichten gelesen. Die Großen, die habe ich auch gelesen. Und da habe ich verstanden, dass wir nicht mutig sind. Deine tintenschwarzen Finger krallen sich aufgewühlt ins Zeitungspapier. Ich meine es schon reißen zu hören. Wir sind nicht mutig, schreist du, verstehst du denn nicht? . Ich zucke zusammen. All das mutig sein müssen und wir waren trotzdem nicht mutig, schreist du und zerknüllst die Zeitungsseite, dann die nächste. Das Geräusch des Papiers tut mir weh, dort im Herzen. Bald liegt ein Zeitungsseitenhaufen vor dir. Eine Lüge war das, zischt du, das mit unserem mutig sein. Da draußen ist die Welt viel härter. Da draußen wäre unser Mut Feigheit. Diesmal strecke ich die Hand zu dir aus, aber deine Tintenfinger ergreifen sie nicht. Stille ist eingezogen, hier bei uns. Von diesem Tag an liest du keine Zeitung mehr. Es ist die Angst, die dich gepackt hat.
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