Nächsten Sommer
Wir sind Splitter, die sich das Dorf in seiner Gier zugezogen hat. Das Dorf wollte immer mehr haben und als es in den Obstkorb griff, um sich die Früchte aus dem bäuerlichem Garten zu greifen, holte es sich nur Splitter. Splitter aus weit gereistem Holz, die von mehr als nur Feldern und Kühen erzählen konnten.
Die Ur-Dorfkinder betrachten uns mit giftigen Blicken, uns, die Fremden, die nicht hierher gehören. Stolz steht auf ihren Gesichtern geschrieben, dass ihre Ahnen schon als Jäger und Sammler hier waren. Sie wollen uns beleidigen, nennen uns Stadtkinder, doch wir tanzen trotzdem unseren Hexentanz ums Sonnwendfeuer und tröten mit Grashalmen in ihre Ohren. Im Wald wollen wir ein Geheimversteck bauen, um sie auszuspionieren, wir wandern barfuß in ihrem Bach und entfernen ihre Pumpen für die Pools daraus. Zum Lagerfeuer bringen wir unser eigenes Brot mit den Stöcken, in die wir Muster geschnitzt haben und verachten die am Traktor geborenen genauso sehr wie sie uns.
Im Sommer gehen wir zu den Ferienprogrammen im Dorf, wo wir uns an die Spitze kämpfen. Wir müssen lauter sein als die Ur-Dorfkinder, schneller, stärker, besser und arroganter.
Weil wir sowieso nicht hierher gehören, sind wir lauter, als wir müssten. Wir können ihre Anerkennung nicht verlieren, wir wollen sie gar nicht haben und das zeigen wir ihnen mit einem überheblichen Lächeln auf unseren Lippen, hinter denen die Zähne von Raubtieren lauern.
Wir verstehen nicht, warum unsere Eltern ausgerechnet hierher wollten, von allen Orten auf der Welt, die ihnen offen standen, denn Hof ist nur eine Illusion, nur ein Wartezimmer, in dem wir unsere Zeit absitzen.
Wir träumen von Südafrika und Neuseeland, wir träumen von heißen Sommern und eisigen Wintern, vom Geruch von Regen im Urwald und dem Geräusch unserer Stimmen, die im Canyon hallen.
„Noch sind wir hier, aber bald nicht mehr“ sagen wir uns. „Bald sind wir weg!“ schreien wir den Bergen entgegen, die uns umzingeln. Jeder Tag ist ein Schritt weiter weg, ein Schritt Richtung Freiheit. Wir wollen, dass es schneller geht, doch die Tage werden kürzer. „Nächsten Sommer“, sagen wir, „nächsten Sommer werden wir gehen!“
Als der Sommer geht prügeln wir uns mit den wenigen Gymnsaiasten um die besten Plätze im Bus, bis sie uns den Vortritt lassen. Wir genießen den Sieg auf unserem Thron aus Plastik und billigem Stoff und tragen die blauen Flecken wie Trophäen.
Doch der Kampf in der Stadt ist härter und ich muss zuschauen, wie wir beide ihn langsam verlieren, wie unsere Kraft verschwindet, ich leise werde und dir nur die Arroganz bleibt. Ich versuche in deinen Kopf zu schauen, doch ich kann deine Gedanken nicht mehr lesen. Dann gehst du plötzlich allein zum Bus und schleichst dich mit den Dorfkindern hinten rein. Wenn wir aussteigen, reden wir über Schularbeiten und Hausübungen statt über das Geheimversteck, das wir nie gebaut haben oder das Gefühl von Wüstensand, der zwischen den Fingern hindurchrieselt und unsere Pläne sammeln in meinem Zimmer Staub.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX