nemesisvon Katharina Bogner
Auf jedem Schritt kann ich es spüren, bemerke, dass ich davon verfolgt werde, egal ob ich versuche es abzuschütteln; es ist zu tief in meinem Empfinden verankert, um es zu ignorieren. Ich stolpere häufig, weil das Gewicht so schwer auf meinen Schultern aufliegt, und kämpfe ich mich nach jedem Fall wieder auf die Beine, rede mir ein, dass es nicht so schlimm ist, dass ich damit leben kann, dass ich mich einfach weiter anstrengen muss, um es irgendwann zu überkommen.
Ich bin zu leichtgläubig gewesen, zu positiv gegenüber dem, was mich erwartet hat.
Obwohl es nicht lange her ist, habe ich das Gefühl, dass Ewigkeiten vergangen sind, seit ich mich das letzte Mal frei gefühlt habe; ich kann mich kaum daran erinnern, wie es ist, ohne diese Last zu leben. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich mich von dir ferngehalten hätte, wenn ich dir nie vertraut hätte. Du bist immer für mich da gewesen und ich habe mich dir irgendwann einfach anvertraut, weil ich mich danach gesehnt habe jemanden zu finden, der so ist wie ich, der meine Eigenarten versteht und meine Interessen teilt, der mit den Worten, die in meinem Kopf im Chaos hin und her toben, etwas anfangen kann und sie beruhigt, anordnet, das Beste aus ihnen herausholt. Es hat sich damals so unbeschwert angefühlt, diese Entscheidung zu treffen, genauso leicht, wie ich sie nun bereuen kann.
Statt mich zu befreien, hast du mich nur für eine Zeit lang gezähmt, wie ein wildes Tier in einem Käfig gehalten und darüber geschmunzelt, dass ich mich nie gewehrt habe.
Wenn ich mit dir über das gesprochen habe, was mich begeistert, da konnte ich es spüren; wie ein Flattern in meiner Brust, eine Leichtigkeit, die meinen ganzen Körper erfasst, um mich hoch in die Wolken zu tragen. Dass es eine Illusion ist, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht; ich war zu überrascht davon, dass mein Weg mich zu dir geführt hat, und dass du genau meinen Erwartungen entsprachst. Nur ein Wort von dir und ich hätte alles tun können, sollte es noch so unmöglich klingen, sollte es mich bis an meine Grenzen bringen, sollte ich bei dem Versuch, dir gerecht zu werden, kaputt gehen.
Ich weiß nun, wie es sich anfühlt, wenn der Verstand einen Sprung bekommt, als handele es sich dabei um Glas; ein Spiegel meines Innenlebens, der Risse bekam, aus dem einzelne Splitter fielen, wann immer ich eine Schlag einstecken musste, den ich nicht erwartet hätte. Von Anfang an habe ich nie damit gerechnet, dass es mich schmerzen könnte, dass du mir wehtun würdest, sobald ich deinen Ansprüchen nicht mehr gerecht wurde. Aus einem spontanen Moment heraus, der zu unserer Begegnung führte, schöpfte ich meine Kraft; schließlich war ich so überzeugt davon, dass du mir Flügel verleihst, weil du doch meinen Mut symbolisierst. Ohne diesen wäre es mir unmöglich gewesen, dich kennenzulernen, nicht wahr?
Aber ich war nicht mutig, nicht ein einziges Mal in der Zeit, die ich mit dir verbracht habe.
Mit jedem Tag ist der Druck größer geworden; die Zweifel in meinem Inneren verstärkten sich und das Chaos in meinem Kopf wollte sich einfach nicht beruhigen, egal wie sehr ich dir vertraute, egal wie viele schöne Worte du mir geliefert hast, damit ich vergessen konnte, vergessen wo ich bin, wer ich bin. Meine eigene Identität ist nicht wichtig in den Tiefen, die du mir aufzeigtest, von denen ich mich verschlingen lassen sollte und auch bereit war, es zu tun, für dich, für deine Anerkennung allein.
Du holst mich, wenn du mich brauchst; du bist auf mich angewiesen, wie ich auch auf dich. Wir gehen zusammen durch dick und dünn, durch Chaos und Ruhe, sammeln unseren Mut für unzählige Abenteuer, und wenn es soweit ist, dann gehen wir gemeinsam unter, ganz tief zum Boden des Abgrundes hinab. Ich habe nicht begriffen, dass das kein Ort für mich ist; du wolltest mich mit dir dorthin nehmen, sobald du mich ausgenommen hattest, aber dafür war ich blind.
Immerhin habe ich dir vertraut, dir und all deinen Worten, Beschönigungen und Kritiken.
Schlichtweg allem, was du an mich gerichtet hast.
Mir ist kalt gewesen, in manchen Nächten, und dann konnte ich mich mit deiner Hilfe warm halten; nur Sekunden lauschte ich dem, was du mir sagtest, was du aus meinen wirren Gedanken machtest, und mir ist heiß geworden, ganz fürchterlich, als würde ich verbrennen. Das ist Glück gewesen; das hat mich zu dem gemacht, was ich damals war. Du hast mich mit dem gefüttert, was ich hören wollte, nur mit hübschen Formulierungen, die mein Verstand kaum alle aufnehmen konnte, als Lügen entlarven konnte, weil es immer zu viel war, um damit fertig zu werden.
Ich habe mich davon gefordert gefühlt, wertgeschätzt, ermutigt, mich noch mehr anzustrengen; es ist mein Ziel geworden, dass du weiter und weiter fortfährst, bis ich mich satt gehört hätte. Dein Lob hat mich zeitweise übermütig werden lassen und viel zu selbstsicher, ohne darauf zu achten, wo meine Schritte mich hinführten, darauf, dass die Schatten angesichts des Rampenlichts, das du mir gewährt hast, immer länger wurden. Plötzlich war keine meiner Ideen mehr ungenügsam und ich verließ mich darauf, dass du mich weiterhin stützen würdest, egal wie hoch es sich noch schrauben würde; du bist an meiner Seite geblieben und hast mich immer wieder darin bestätigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin, dass ich das Recht habe, mich über Erfolge zu freuen, dass ich einfach ignorieren sollte, wie nah ich am Rande eines dunklen Lochs stehe, in das du mich jederzeit stoßen kannst.
Letztendlich bist du nicht für mein Glück verantwortlich gewesen, niemals.
Von allen Seiten habe ich es gespürt, den Druck, den Hass, die Steine, die den Spiegel eingeworfen haben, bis die Scherben mich so zerschnitten hatten, dass ich flüchtete; ich habe mich versteckt vor dir, weil du mir nicht die Wahrheit gesagt hast, mich angelogen hast. Meine Zweifel haben nicht über deinen Einfluss gesiegt, sodass ich nie zu dem Schluss gekommen wäre, dass du eifersüchtig auf mich gewesen bist, die ganze Zeit über. In jeder deiner Taten habe ich Unterstützung gesehen, in jedem Satz Liebe vernommen, während du eigentlich in jeder meiner Handlungen nach Fehlern gesucht hast, darauf gewartet hast, dass mir die Worte ausbleiben und du dazu kommst, mir all deine Abneigung geballt ins Gesicht zu schreien.
. . . Und ich konnte meine Ohren nicht vor deinem Unmut verschließen.
Mir ist nichts anderes übrig geblieben, als dir zu lauschen, tonlos, ausdruckslos, gefühllos, weil alles mit meinem Verstand zersplittert ist und ich mich nicht daran erinnern konnte, was ich hätte erwidern sollen. Stattdessen habe ich dir stumm Recht gegeben und in meinem Inneren nach all den Fehlern gesucht, die du mir vorgeworfen hast; obwohl ich solche nie zuvor entdeckt hatte, häuften sie sich nun und trugen zu den Änderungen bei, die ich durchmachen musste.
Eine Reihe von Ereignissen, Beeinflussungen, Suche und Findung, bis ich irgendwann den Punkt erreichte, an dem ich jetzt stehe. Auf jedem Schritt kann ich dich spüren, höre, was du mir zuflüsterst, egal ob ich am liebsten taub dafür wäre. Du bist überall präsent und doch nicht, weil du doch eigentlich zu unbestimmt bist, um zu sein; du bist der Geist meiner Vergangenheit, meiner Gegenwart und meiner Zukunft und in keiner Zeit wird es mir möglich sein, dich abzuschütteln. Du bleibst mir als das Gewicht auf meinen Schultern erhalten und ich trage dich mit mir, bis ich irgendwann in den Abgrund fallen werde, wo du hingehörst. Ich kann nicht ewig kämpfen, besonders nicht gegen dich; ich weiß, dass ich aufgeben werde, dass ich nicht damit leben kann, dass ich es nie komplett überkommen werde, solange du mich festhältst.
Du bist der Grund für meinen Übermut gewesen; du richtetest all deinen Unmut gegen mich, um mich zu Boden zu zwingen, um mich dir ähnlicher zu machen, weil ich mich nie gewehrt habe und dir verfallen bin. Obgleich du meine beste Unterstützung warst, bist du nun mein größter Feind, auch wenn ich das nicht offen zugeben kann; deine Worte mögen manchmal von Lob geprägt sein, aber ich kann dahinter nichts anderes mehr sehen, als versteckten Neid, verborgene Verachtung für mich und das Chaos in meinem Kopf, den Wirbelsturm an Ideen, der mir gehört, von dem du aber gerne ein paar Worte abhaben würdest. Es ist mir unmöglich, mich dir vollständig zu entziehen, weil du noch immer einen Teil von mir ausmachst, den ich nicht zurücklassen kann, den ich nicht aufgeben kann, egal wie schwer es wiegt, egal wie schmerzhaft es ist, die Scherben einzeln aufzuheben und wieder zusammenzusetzen, um mich selbst zu retten.
Das einzige, was du nie gewesen bist und auch nie sein wirst, ist der Grund für meinen Mut. Damit hast du absolut nichts zu tun; du hast auf diesen Teil von mir keinen Einfluss. Wäre das der Fall, hättest du ihn schon längst zur Strecke gebracht, damit ich dir weiterhin gefügig bleibe. Dass ich mich wehren konnte, beweist, dass ich dich übertroffen habe, dass ich ein Mittel an der Hand habe, das dir Angst einjagt, dich verscheuchen kann, wenn ich es richtig einsetze, zumindest für eine kurze Zeit, bis du dich wieder an mich hängst.
Das ist in Ordnung so.
Ich weiß jetzt, dass du meinen Wert nicht bestimmen kannst, nicht festlegen kannst, dass du meine Gedanken nie vollkommen verstanden hast und weder dazu in der Lage gewesen bist, sie zu ordnen, noch das Beste aus ihnen heraus zu kitzeln. Über das, was ich in deiner Präsenz tue, hast du keine Kontrolle, hattest du auch nie; bis ich das begriffen habe, hat es gedauert, doch nun ist es der Faden, an den ich mich eisern klammere, um zu überleben.
Du kannst mir nichts.
Du kannst mir gar nichts, solange ich mich festhalte.
Mich festzuhalten bedeutet, mich auf mich selbst zu verlassen.
Wenn ich eines von dir gelernt habe, dann die Tatsache, dass ich in dieser Welt nicht alleine bin, dass meine Stimme laut genug ist, um andere zu erreichen, genau wie deine aus zu vielen besteht, um dich als ‚du‘ zu bezeichnen, denn eigentlich bist du doch ein ‚ihr‘. Ihr seid nicht fähig, mein Chaos zu steuern, und ich werde nicht zulassen, dass ihr noch schwerer werdet; bis zum Ende werdet ihr mich begleiten, wie ihr jetzt gerade seid, solange, bis ich nicht mehr kämpfe. Wir gehen zusammen entlang des Abgrundes, auf einem schmalen Grad, sehen die Welt durch unterschiedliche Wahrnehmungen und wenn es soweit ist, dann werde ich fallen, gemeinsam mit euch, dann werde ich einen Teil von mir aufgeben müssen, um euch ein für alle mal loszuwerden.
Das ist mein Mut, meine Kraft, der Entschluss, den ich nicht bereuen werde.
♦
Ein gleichmäßiges Klappern durch die Nacht, zu leise, um störend zu sein, gerade laut genug, um an meine Ohren zu dringen.
Lautsprecher spielen leise Musik, auf die ich mich nicht konzentrieren muss, sondern die mir ermöglicht, mich auf etwas anderes einzulassen.
Die Augen huschen über den Bildschirm, Wort für Wort, Satz für Satz, Zeile für Zeile, Seite für Seite, den Text entlang; immer offen für Fehler, für Verbesserungen, für kleine Gedankenpausen.
. . . Und während ich das überfliege und korrigiere, was aus dem Chaos in meinem Kopf auf das virtuelle Papier geflossen ist, muss ich plötzlich wieder an dich denken, wie du lauernd über meine Schulter schielst, versuchst einen Blick auf das Geschriebene zu erhaschen.
Mir fällt ein, wie du mich manchmal übermütig werden lässt, wie ich die Wunden deines Unmuts noch immer schmerzhaft in meinem Inneren verspüren kann, deshalb im Gleichgewicht bleibe.
An dieser Stelle muss ich lächeln und zucke mit den Schultern, um die Last zu vertreiben, die sich dort schon wieder breit gemacht hat; mein Blick findet den Zeiger der Maus, schwebend über einer Option, die ich lange Zeit als Segen, dann als Fluch, und mittlerweile gleichgültig betrachte.
Du hast nicht gewonnen, aber auch nicht verloren.
Die einzige Person, die dazugelernt hat, bin ich.
Ich kann siegen, ich kann mutig sein.
Ohne zu zögern bestätige ich die Funktion zum Hochladen meines Textes, mit der Gewissheit, dass das ein Mindestmaß an Mut darstellt, das ich nach der Begegnung mit dir besitzen sollte.
Ich bin zufrieden mit mir selbst und lehne mich entspannt auf dem Stuhl zurück, fühle mich wieder leicht und frei, kann wieder in den Spiegel sehen, der meine Reflexion trotz kleiner Sprünge so wiedergibt, wie es sein muss.
. . . Ein bisschen durcheinander, ein bisschen verrückt, vollkommen ich.
Ich alleine.
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