Neue Ufer
Ich war noch nie auf mich allein gestellt. Ich dachte, es würde langsam gehen. Ich dachte, es wäre anders. Ich dachte, man würde einfach irgendwie weiterleben und sich mit der Zeit entwickeln. Ich dachte, es ginge nicht über Nacht, erwachsen zu werden.
Ich war rückblickend glücklich und zufrieden. Die Sonne schien, es war wohlig warm. Die Sorgen hatten ihre Grenzen und waren nur von kurzer Dauer. Ich ging in die Schule, verbrachte dort die Gesamtheit des Tages mit meinen Freunden, kam nach Hause, aß mein von jemand anders frisch gekochtes Essen, machte vorgegebene Schulaufgaben, ging hinaus und traf mich mit anderen Freunden. Um mich wurde alles irgendwie, irgendwo von irgendjemandem gerichtet und ich selbst nickte die Vorgänge und Beschäftigungen nur ab. Mir war mein Weg vorgegeben und meine Haupttätigkeit fokussierte sich um die Planung meiner freien Zeit.
Allmählich streckte ich mich nach neuen Aufgaben, nach neuen Errungenschaften. Mir war die alte langweilige kleine Welt zu öde geworden und weitere, höhere Beschäftigungen mussten her. Selbstverwirklichung stand auf der Flagge. Mein Boot wurde ins Wasser gesetzt und kräftig stieß ich mich vom Festland ab. Ab um an neue Ufer zu gelangen. Veranstaltungen füllten meine Nachmittage, die Abende wurden immer länger und die Zeit zuhause kürzer. Ich fühlte mich wichtig und besorgte mir sogar einen Kalender für die ganzen neuen Termine.
Schnell kommt man zu der Einsicht, dass zu den neuen Freiheiten auch neue Aufgaben und Verantwortung kommen. Alles regelt man jetzt allein. Man wird immerhin älter. Es geht nicht mehr um „ich, ich, ich“, sondern man selbst muss schauen wo man hinkommt und sich dorthin durchkämpfen. Neue Fragen tun sich auf. Studieren oder etwas anderes probieren? Fragen, die Entscheidungen verlangen. Bundesheer oder Zivildienst? Oder keines von beiden? Das letzte gesicherte Jahr steht vor der Tür. Nie musste man so viele und so wichtige Entscheidungen auf einmal und allein treffen. Wohin geht es dann weiter? Aber wer sollte einem helfen können? Wird man im nächsten Jahr überhaupt noch bei seinen Eltern leben oder ist dann Schluss mit „Hotel Mama“? Ist man nicht die einzige Person, die weiß, was man will? Wer denkt denn überhaupt schon an nächstes Jahr? Aber weiß man selbst, was man will? Wird man dieses Jahr denn überstehen? Was ist denn mit VWA, Schularbeiten und Matura. Währenddessen kommt noch „die Härte des Lebens“ – und viele andere dumme Sprüche – auf einen zu. Und es stimmt, die fetten Jahre sind vorbei. Das Festland ist nicht mehr zu sehen. Es hagelt, der Wind wird stärker, bald befindet man sich inmitten eines heftigen Sturmes. Hin- und hergerissen versucht man, sich zu halten, bloß nicht unterzugehen. Das erste große Unwetter ist vorbei, aber wo steht man jetzt? Am Anfang, am Ende? Weit und breit nichts mehr zu sehen außer Wasser. Keine Fixpunkte vorhanden, nur unendlich viele, schwummrige Wege. Nur eine Frage überm Horizont. Wohin? Wohin? ! Zu neuen Stränden, meinem neuen Land…
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