Nicht nur ein Spiel
“Das hohle Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte blaurot voll früher Abendsonne. Staubgewölke flimmerten zwischen den steil gereckten Schornsteinresten. Die Schuttwüste döste.
Er hatte die Augen zu. Mit einmal wurde es noch dunkler. Er merkte, dass jemand gekommen war und nun vor ihm stand, dunkel, leise. Jetzt haben sie mich, dachte er. ”*
Was sollte er nun tun? Er war gelaufen, ohne Zweifel. Er war auch erfolgreich gewesen. Er merkte, wie mehr Gestalten um ihn herum dazukamen, ihn umzingelten. Trotzdem atmete er ruhig weiter, ohne Angst. Warum nur?
Die Augen hatte er noch zu, er wollte sie alle nicht sehen. Er sah also nicht, wie die Abendsonne noch mehr blutrot wurde, das Fenster in der Mauer stärker leuchtete und das Licht die Staubpartikel in der Luft wie Glimmer scheinen ließ.
Das zertrümmerte Gebäude, überall die Beton- und Mauerbrocken, hatte ihn anfangs schockiert. Alles weg. Doch inzwischen hatte er sich daran gewöhnt und kannte sich dort besser aus als zuvor.
Das Geschehen der letzten Stunde lief ihm wie ein Film vor den Augen, während seine Verfolger tuschelten, was nun mit ihm zu tun sei.
Sie hatten das Zauntor offen gelassen, er konnte es frei nehmen. Aber sie hatten ihn erwischt und obwohl er gelaufen war, gelaufen, so schnell, wie er es noch nie getan hatte, hatten sie ihn gefangen. Da hatte er sich doch Sorgen gemacht. Dann sah er aber seine Chance, einen Moment der Unachtsamkeit seines Wächters.
Und er war davongekommen.
Bis er die Schreie hörte. Sie waren voll Entsetzen und er wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war. Deswegen war er hierher gerannt, es würde ihm Zeit geben, sich zu erholen und er konnte sich für den Moment zumindest verstecken. Anscheinend war der Moment sogar so lange gewesen, dass er eingeschlafen war.
Aber jetzt. Jetzt hatten sie gewonnen. Wussten sie aber, dass er den Schatz noch in seiner Hosentasche hatte? Hoffentlich hatten sie es nicht bemerkt.
“Das war jetzt das letzte Mal. Schluss damit. ” Die Stimme des Anführers. Sein Herz schlug schneller. Was passiert nun? , dachte er.
“Konstantin! ” Er atmete auf. Seine Schwester schob die Burschen um ihn herum beiseite. “Konstantin, wo warst du so lange? Mama macht sich schon Sorgen um dich. ” Seine Nachbarn fingen an zu jammern: “Können wir nicht noch spielen? Konsti hat angefangen. Er hat die große Murmel genommen! ” Aber Konstantin nahm die Hand der Schwester mit Erleichterung. Spielen. Er hatte Angst vor den großen Jungs. Sie gingen alle schon in die Schule und waren viel stärker als er.
“Ja kein Wunder, da bist du schon selbst Schuld, wenn du ihre Sachen wegnimmst”, meinte die Schwester, ” und du sollst nicht auf den Grund gehen, wo sie Frau Jankes Haus abgerissen haben. Du steigst noch auf eine Scherbe oder so. ”
Doch das war ihm egal. Er wollte nur zu Mama.
Und in seiner Tasche spürte er die große runde Form der rot und goldenen Murmel. Er wusste, sie sah so aus wie die Abendsonne, die schon fast den Horizont berührte.
*aus Borchert, W. : Nachts schlafen die Ratten doch.
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