Niemals genug
Er drückte das Gaspedal durch, und überholte, das Jaulen des Motors ignorierend, zwei weitere Autos. Der Fahrtwind riss an ihrem Haar, wirbelte es durch die Luft als sei es schwerelos, und peitschte um ihre Ohren. Doch es machte ihr nichts aus. Tatsächlich genoss sie es.
Sie liebte das Gefühl, das sich in ihrem Magen ausbreitete, als das Auto in eine scharfe Kurve bog und sie in ihren Sitz gedrückt wurde. Sie liebte den plötzlichen Adrenalinrausch. Das Hämmern in ihren Ohren. Sie liebte das Gefühl der Freiheit- der absoluten Freiheit-, als der Gurt in ihren Hals drückte und ihre Hand sich so fest in das teure Leder des Sitzes krallte, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
Sie würde niemals genug davon bekommen. Sie würde nie genug von ihm bekommen. Mit ihm fühlte sich alles wie ein Abenteuer an. Selbst alltägliche Dinge wie Autofahren.
„Angst?“ seine tiefe, raue Stimme durchbrach ihre Gedanken und wenn sie zu ihm hinübergeschaut hätte, hätte sie gesehen, wie er spöttisch eine Augenbraue hochgezogen hatte und wie seine Mundwinkel zuckten. Sie hätte die Falten gesehen, die sich auf seiner Stirn gebildet hatten, und die leichte Sorge in seinen Augen, aber da sie weiter auf die dunkle Straße vor ihnen starrte, bemerkte sie von alledem nichts.
Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nicht mehr. Am Anfang ja- aber jetzt nicht mehr.“ Sie drehte sich zu ihm, ein breites Grinsen auf den Lippen. Es war dieses ganz besondere Grinsen, welches sie nur ihm zeigte. Bei dem sein Magen Saltos und sein Herz höherschlug. Das, von dem er nie genug bekommen würde. „Solange du bei mir bist, werde ich niemals Angst haben. Ich vertraue dir.“
Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln, sein Blick flackerte zwischen der Straße und ihrem Gesicht- oh Gott ihr Gesicht- hin und her. Vielleicht lag es daran das die unregelmäßige Beleuchtung der kalten Straßenlaternen über ihnen, ihr rotes Haar auf eine ganz seltsame Art zum Glänzen brachte, aber es war einer dieser Momente, in denen er realisierte, wie wunderschön sie wirklich war. Es war einer dieser Momente, in der er sich aufs Neue in sie verliebte und er nicht anders konnte als sich zu fragen, wie er es bitte geschafft hatte, jemanden wie sie zu verdienen.
Die Scheinwerfer der anderen Autos wirkten wie leuchtende Stecknadeln in der Ferne. Ihre grünen Augen wandten sich wieder der Straße zu, und nach einigen Sekunden des Schweigens folgte er ihrem Beispiel. Er fuhr jetzt langsamer, was der Motor mit einem angenehmen Schnurren bedachte. Sie betrachtete sich im Seitenspiegel. Ihr Haar stand in alle Richtungen ab, aber sie bemerkte, dass es sie nicht störte, was nicht der Fall gewesen wäre, wenn sie mit jemand anderem im Auto gesessen hätte.
Aber das war ja gerade das Magische an ihrer Beziehung, dachte sie. Sie bekamen nie genug davon, kamen nie an einen Punkt, an dem alles zu viel wurde und selbst nach all den Jahrhunderten, die sie zusammen verbracht hatten, war es noch nicht genug. Und sie war sich nicht sicher, ob es jemals genug sein würde.
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