Nova
"Lass uns reden. "
Drei Worte, die mir seit Jahren furchtbare Angst einjagten. So oft hatte ich sie gehört. In jeder Tonlage. So verständnisvoll. Oder zwanghaft, verklemmt.
Sie hatten mich praktisch eingekesselt, wie ein Tier im Zoo saß ich auf der gepolsterten grünen mit Leder überzogenen Sitzfläche des viel zu hohen Stuhls, so hoch, dass meine Füße den Boden nicht mehr erreichten.
Schon immer war ich klein und schmächtig gewesen, zumindest für einen Jungen. Kein Nachteil.
"James. "
"Mister Wilson. Bitte. Mein Name ist Nova", unterbrach ich ihn leise.
Er musterte mich mit abschätzig gerunzelter Stirn aus seinen kalten, stahlgrauen Augen, die mir immer schon Unbehagen bereitet hatten. Und jetzt noch viel mehr. Er hatte die Finger verschränkt und sie diplomatisch vor sich auf den Tisch gelegt.
An seinen Arm klammerte sich seine Frau, ein durchscheinendes, kränklich wirkendes Wesen ohne Kraft, sie schien nur aus Knochen und Haut zu bestehen. Sie sah mich an, als wäre ich alles, was diese Welt schlecht machte, als würde ich das Leben ihres Sohnes zerstören.
"Wir haben hier etwas. Für dich. "
Auf der Broschüre, die Frank Wilson mir über den Tisch zuschob, stand in schwarzen Blockbuchstaben "Heilung für sexuell verwirrte Jugendliche".
Fassungslos starrte ich darauf. Ich hatte gar keine Zeit um Schmerzen zu empfinden. So sehr brachte mich dies aus dem Konzept.
"Mister Wilson. Ich bin nicht verwirrt. Und ich brauche keine Heilung. Das. . . was ich empfinde. . . Das bedarf keiner Heilung. "
Adam sah mich an. Unter dem Tisch griff er nach meiner Hand und drückte sie. Er war perfekt. Für mich. Weil er da war. Das war genug.
Anders als ich. Es schien, egal was ich versuchte, es war nie genug. Ich war es nie.
"Mister und Misses Wilson. Ich-"
"James, wir wollen nicht, dass du die Zukunft unseres Sohnes zerstörst. Wenn du dich bereit zeigst, das katholische Camp zur Heilung deiner Krankheit-"
Mir bleib nichts anderes übrig, als ihn erneut zu unterbrechen. Denn für Adam reichte ich. Ich mit allem, was mich ausmachte. Ich, Nova.
"Mister Wilson, ich werde das nicht über mich ergehen lassen. Ich werde nicht still sitzen und zu hören, wie sie alles, was mich ausmacht - als Mensch - als Krankheit bezeichnen. Denn ich liebe Adam. Und das können Sie nicht zerstören. "
Ich erhob mich. Der schwere Stuhl schabte lautstark über den Holzboden. Dann sah ich Adam an. Erwartete, dass er ebenfalls aufstand. Doch das tat er nicht.
"Nova", sagte er leise. Er sah mich nicht einmal an. "Ich. . . Das was ich fühle, das hat sich nicht geändert. Aber das ist meine Familie. Und vielleicht gehe ich in dieses Camp. Vielleicht - bin ich einfach nur verwirrt. "
Und er riss mir das Herz raus. Und jedes andere Organ, dass mich am Leben hielt.
"Nein. Adam. Du - wir - du bist doch nicht krank! "
Er sagte nichts. Sah mich nicht an.
Und ich ging.
Zerstört.
Offenbar würde ich nie genug sein. Egal, mit wem, egal, was ich sagte. Nichts.
Nichts würde mich ausreichend machen.
Genug?
Ich nicht.
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