Nur noch Wasser
„Hier.“, meine Mutter drückte mir jeweils einen metallenen Henkel eines befüllten Wassereimers in die Hände, „Bring das in den Stall und miste bei Gelegenheit gleich die Boxen aus.“
Ich protestierte gar nicht erst oder jammerte, dass ich schon seit Stunden auf den Beinen war. Stattdessen nickte ich bloß abgehakt und machte mich schleppend davon.
Die Griffe der beiden Eimer schnitten mir in die Handflächen, während das kalte Wasser über den Rand schwappte und mein dünnes Leinenkleid durchnässte. Über mir schien die Sonne heiß auf mein Haar, das in einem losen, geflochtenen Zopf steckte. Infolge dieser Hitze rann mir auch noch der Schweiß in Strömen den Rücken hinab.
Unser Grundstück war weitläufig, grün und aberwitzig groß. Jedenfalls zu groß für eine kleine Arbeiterschaft wie es meine Familie war. Das bedeutete aber auch, dass der Marsch zu den Pferdeställen alles andere als einfach war. Auf halbem Wege begannen meine Arme unter der schweren Last also derart zu schmerzen, dass ich mich für eine kleine Pause lautlos niederließ, die Beine im Schneidersitz verschränkt.
Und unmittelbar neben mir lag ein kleiner Teich, der kurz vorm vollkommenen Verdürren stand.
Früher, als ich noch klein und voller Leben gewesen war, hatte das Wasser für mich im Sonnenschein geglitzert und geschimmert wie das Schuppenkleid einer Forelle.
Aber heute war es nur noch Wasser.
Auch wenn es beinahe keine Reflektion gab, in die ich linsen konnte, starrte ich unwillkürlich auf meine bedauernswerte Gestalt in diesem bedauernswerten Fleckchen.
Wenn mir vor zwei Jahren jemand gesagt hätte, dass ich heute zurück auf dem Hof meiner Eltern sein würde, dass ich all meine Träume aufgeben würde, dass ich genau das würde, was ich als optimistischer junger Geist nie hatte werden wollen, weil es mir nicht genug gewesen war. Ich hätte gelacht.
Aber hier hockte ich: Hände verdreckt und rau von der Feldarbeit. Lippen, einst stets zu einem Lächeln geschwungen, zu einem einzigen geraden Strich verzogen. Und Augen lebloser als sie für ein Mädchen meines Alters hätten sein sollen. Sie allein waren der Grund, weshalb es mich so selten in den Spiegel zu blicken verlangte. Trübsinn sprach aus ihnen. Geplatzte Träume. Chancenlosigkeit. Aber am meisten: Schmerz. Ein dauernder Schmerz, der sich immer wieder hinterlistig an mich heranschlich und mich daran erinnerte, was ich nicht hatte.
Das Herz in meiner Brust verkrampfte sich, wie von einer unsichtbaren, eisigen Faust umfasst. War das mein Leben? War das wahrhaftig alles, was für mich vorherbestimmt war?
Eine Träne löste sich stumm aus meinem Augenwinkel, tropfte in die Wasserpfütze vor mir und versetzte sie in sanfte Wellen. Ich hatte vor langer Zeit gelernt, nicht mehr laut zu weinen, genau wie ich gelernt hatte, dass die Welt da draußen nicht fair oder gar genug tuend war.
Die Wellen legten sich, worauf hin ich mich wieder mit meinem eigenen harten Blick konfrontiert sah.
Das also war mein Leben. Mehr nicht.
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