Ohne Worte
Ich öffne langsam meine Augen, fast schon wie in Zeitlupe. Irgendwie ist da die Hoffnung, dass mich dann die Emotionen nicht überrollen, die Realität mich nicht überwältig, dass vielleicht doch nichts davon passiert ist. Nur für einen Moment möchte ich noch diese Sicherheit, diese Geborgenheit. Doch dann öffne ich doch meine Augen und dann sehe ich … .
Meine Augen füllen sich mit Tränen, die Welt verschwimmt vor meinen Augen und bald fühle ich heiße Tränen mein Gesicht entlanglaufen. Wie bei einem Wasserfall. Und da ist dieser stechende Schmerz in meiner Brust, der mich nahezu zerreißt. Der mich nicht vergessen lässt, dass nichts mehr so ist wie es mal war und nichts mehr so sein wird, wie es war.
Noch vorgestern war alles in Ordnung. Meine kleine Welt war noch heil, noch perfekt, noch sicher. Bis die Nachricht kam. Bis zu dem Zeitpunkt als alles auseinanderfiel. Bis meine Welt nicht mehr perfekt war. Den ganzen Tag begleitete mich schon so ein unangenehmes Bauchgefühl, eine leise Vorahnung, dass irgendetwas nicht ganz stimmte.
„Hey, ich weiß, dass du immer sagst es wird alles gut. Aber ich kann das nicht mehr. Es ist alles hoffnungslos. Danke.“
Wie schnell kann sich ein Leben verändern? Ich lernte an diesem Tag, dass das sehr schnell geht. Ich wollte antworten, doch die Nachrichten kamen nicht an. Ich versuchte sie anzurufen, doch erfolglos. Ich erzählte es meiner Mama, rief die Rettung an. Stieg ins Auto, fuhr zu ihr nach Hause, telefonierte mit ihrem Bruder. Doch all das ohne Erfolg, ohne sie zu finden.
Wir sitzen bei ihr zu Hause. In der Mitte vom Tisch ein Handy. Wir warten auf einen Anruf, auf Gewissheit. Und dann kommt er, spät am Abend. Vorhersehbar und doch so unerwartet, unvorbereitet für das was folgt.
Sie brechen über mich herein, die Emotionen. Schmerz, Trauer, Wut. Weil ich eine Freundin verloren habe, eine Person, die mir wichtig war, die mich kannte. Ich bin wütend, weil sie all das getan hat, sie hat ihr Leben beendet. Sie hinterlässt eine Lücke.
Doch was vielleicht am meisten wehtut, ist, dass sie nicht wusste, dass Liebe nie aufhört. Dass es nie zu spät ist zu hoffen. Dass sie geliebt wurde, sie genug war. Sie wird nie wissen, wie sehr wir sie alle geliebt haben und vielleicht tut das am meisten weh. Dass wir ihr nicht oft genug gesagt haben, wie wichtig sie uns ist. Dass ich ihr nicht helfen konnte. Diese Machtlosigkeit.
Jetzt steh ich da. Mein Leben ist aus seinen Fugen gerissen. Da ist ein Platz in meinem Herzen, den niemand füllen können wird. Worte, die nicht mehr gesagt werden können, Tränen, die nicht mehr getrocknet werden können, Gefühle, die nicht mehr ausgedrückt werden können, Erinnerungen, die niemals gemacht werden. Und da ist irgendwo die klitzekleine Hoffnung, dass sie das so wollte, dass sie jetzt glücklicher ist. Ich lege meine Blume ab. Schließe meine Augen. Und dann drehe ich mich um, mit Tränen in den Augen gehe ich zurück zu meinem Platz.
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