Patronen
Er küsst Maria ein letztes Mal.
Vor dem Stall ist es noch finster, schwarze Bäume, dunkelblauer Himmel, letzte Schneeflecken leuchten aus dem Geäst.
Er steht mit Maria vor dem Stall, noch immer umschlungen, sie klammert sich an seine grobe Uniformjacke.
"Ich muss jetzt gehen Maria. "
"Johann, die Uniform, wenn sie dich finden, nimm nicht die Uniform, wenn sie dich finden in der Uniform dann. . . "
Stille, nur das gleichmäßige, eisige Strömen im Wald, die Vögel singen im Februar nicht, und die Bäche fließen nicht.
Ihre Gesichter sind nahe beieinander, die Atemwolken sind so dicht, dass er ihre Züge fast nicht erkennen kann.
"Was soll ich sonst anziehen, es ist so kalt, ich muss weit laufen. " "Kannst du nicht-"
Schüsse.
Sie hallen entfernt vom oberen Talende her.
"Lauf Johann, lauf. "
Rau, rau und hart klingen Marias Worte, wie die Schüsse, und Johann läuft.
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"Gehst' wieder Bierdeckeln suchen Artur? "
Franz sitzt mit seinem dritten Morgenkaffee im spärlichen Vormittagsschatten unter der Linde und raucht eine Zigarillo; trotz seinen 64 Jahren lässt er diese Gewohnheit nicht sein, mahnende Worte gehen ihm genauso auf die Nerven wie Artur der Spott über sein neues Hobby.
Der schultert seinen Metalldetektor und nimmt eine Schaufel in die Hand.
"Geduld und Beharrlichkeit sind die Tugenden eines Schatzsuchers, lieber Großonkel. "
Im Vorbeigehen nimmt er Franz die Zigarillo aus der Hand und zieht einmal daran, dann schreitet er, den Rauch aus der Nase blasend, den schmalen Schotterweg hinunter, der zum Wald führt.
"Übrigens waren es zum Großteil sehr, sehr alte Bierdeckel! ", ruft er noch über die Schulter. "Ah geh bitte, deine keltischen Bierdeckeln. . . "
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Obwohl keine Schüsse mehr fallen, läuft Johann, läuft grimmig durch den Wald, dessen Konturen sich langsam gegen den Himmel abzeichnen. Der Boden federt, ist voll mit feuchten, toten Ästen.
"Gut, dann hören sie mich schlechter. "
Johann ist erschöpft von den letzten Tagen, dauernd in Angst, dauernd auf der Hut.
Und doch, wie er so über den klammen Boden hastet, zwischen den toten Ästen und eisigen glatten Wurzeln, gleichmäßig atmend, denkt er völlig klar.
Die Luft ist so kalt, dass ihm das Atmen wehtut, seine Springerstiefel werden nach jedem Tritt in einen der fahl leuchtenden Schneeflecken feuchter. Als er vor drei Jahren eingezogen worden war, hatte der Offizier ihm gesagt: "In diesen Stiefeln werden wir die Welt erobern! "
Bitteres Grinsen, der kleine Offizier mit dem braunen Schnurrbart, der ist oben auf der Alm, dort, wo die Schüsse waren.
Es ist jetzt ganz hell, der harte blaue Februarmorgen spannt sich durch den frostüberzogenen Fichtenwald und verwandelt ihn in ein monochromes Gemälde, gestört nur von dem Mann in der grünen Uniform, der den Hang hinunter läuft.
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