Pech und Schwefel
Sie waren wie Pech und Schwefel, beinahe unzertrennlich. Sie lernten sich früh kennen, für einige zu früh. Er ließ sie nie allein und sie hatte kaum noch Zeit für andere. Sie selbst konnte sich nicht mehr an eine Zeit ohne ihn erinnern. Er war immer da, fast wie ein Schatten.
„Seit wann kennen wir uns eigentlich?“, fragte sie nachdenklich.
„Ich war schon immer da. Seitdem du klein warst. Du hast mich nur nicht immer beachtet.“
Sie biss an ihren Fingern. „Oh…“. Stille. Sie wusste nicht, was sie entgegnen sollte. „Und… wieso bist du noch immer da?“
„Ich werde dich nie verlassen. Ich bin ein Teil von dir und du bist ein Teil von mir.“
Die Luft wurde schwerer. Sie überlegte schon lange, wieso er bei ihr war. Hatte sie das verdient? Sie sah runter und bemerkte langsam, dass ihr Bein zu wippen begann. Sie stoppte abrupt.
Er beobachtete sie dabei. Sein Blick noch immer auf ihrem Bein. „Ich tu dir nichts. Du weißt, ich tu dir nichts. Du weißt das.“ Sein Versuch, Augenkontakt herzustellen, scheiterte bemitleidenswert.
Ihre Unsicherheit füllte den Raum, erreichte ihn – dabei wollte er ihr nichts antun, im Gegenteil. Er nahm sie behutsam und zärtlich in die Arme, wenn es ihr schlecht ging. Nahm ihr jede Trauer. Er liebte sie. Doch er konnte nicht anders. Er war das Pech. Er war der Schatten. Kaum ließ sie sich fallen, erdrückte er sie in seinen Armen. Entzog ihr jegliche Emotionen. Er würgte sie, während andere um sie herum lachten. Er war für andere fast unsichtbar. Aber sie konnte ihm nicht entkommen. Betrat er den Raum, so konnte sie kaum noch atmen. Er wollte sie doch nur beschützen. Beschützen, beschützen, beschützen. Er wusste, dass es für sie schlimmer wird, wenn er ginge. Kein Schutz mehr. Zu viele Emotionen. Zu intensive Emotionen. Wenn er weg war, fühlten sich alle Emotionen so viel intensiver an. Er war das Pech.
„Wieso bist du noch da?“, flüsterte sie mit zittriger Stimme. Tränen rollten über ihre Wange.
„Ich gehöre zu dir“, erwiderte er gleichmütig. Beschützen. Seine Aufgabe. Sie beschützen.
Sie konnte kaum noch reden. Ihr kamen wieder all die Momente hoch, in denen er sie so unwichtig hatte fühlen lassen. Einatmen, ausatmen. Ein und wieder aus. Ein und aus. Bis sie wieder reden konnte.
„Geh. Bitte“, verzweifelt schaute sie zu ihm auf, „Ich will dich nicht hier haben.“
„Ich versteh‘ das nicht“, seine Stimme nun panisch, sein Blick fokussierte sich auf ihre Augen. Tränen. Beschützen.
„Ich will dich nicht hier haben! Nicht mehr. Verstehst du das nicht? Du sollst gehen! Weg! Ich bin doch glücklich, glücklich, glücklich. Bitte! Geh! Ich will dich nicht!“. Sie wollte nicht mehr mit ihm leben. „Ich bin glücklich…“, ein Schluchzer entkam ihrer Kehle. Diesmal verstand er sie. Und mit einem Augenzwinkern löste er sich auf und zog mit dem Wind.
Ein Stein fiel von ihrer Brust. Die Tränen verwandelten sich zu Freude. Sie war frei. Endlich frei. Frei. Endlich. Glücklich. Endlich…
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