Pegasus
Jona saß im kalten Sand und lehnte sich zurück. Er schloss seine Augen und lauschte. Das Meer rauschte leise. Vereinzelte Wellen klatschten gegen die Klippen. Der Wind ließ die Gräser auf den Dünen hinter Jona rascheln.
Neben ihm lag Rebecca, den Blick sehnsüchtig gen Himmel gerichtet. Sie tippte Jona auf die Schulter und hob ihren Finger entgegen des wolkenlosen Himmels.
„Wie heißt das Sternbild? " fragte sie.
Das alte Spiel.
„Zwillinge" sagte Jona. Er zeigte auf die Formation über ihren Köpfen. Seine Schwester schnaubte verächtlich. „Das Niveau hast du zuhause liegen lassen, oder? Das ist der
große Wagen. "
Sie zeigte auf das nächste Sternbild weit über dem Meer. „Wie heißt das?“
„Keine Ahnung. " gab Jona zu.
Triumphierend streckte Rebecca ihre Faust in die Luft. „Gewonnen. Das ist Pegasus, Loser.“
Sie grinste und lehnte sich auf seinen Brustkorb. „Und jetzt komm endlich. "
Sie zog Jona an seiner Hand hoch und in Richtung Meer. Laut jauchzend sprang sie in die Wellen. Jona folgte ihr langsam.
Als er knietief im kühlen Nass stand, kam Rebecca wieder zu ihm. Sie war triefnass.
„Komm rein" sagte sie. „Du hast es versprochen. Und in den nächsten zwei Monaten fahren wir bestimmt nicht nochmal ans Meer. "
Ein bekannter Schmerz durchfuhr Jona. Richtig. Zwei Monate.
Er strich Rebecca über den kahlen Kopf. „Klar.“
Dann begann er, Rebecca nasszuspritzen. Sie lachte und schlug sofort zurück. Jona ließ sich von ihr weit ins Meer drängen bis Rebecca auf einmal laut aufschrie. Panisch rannte
er zu ihr und packte sie an den Armen.
„Was ist los? "
Ihr durfte nichts passieren.
Rebecca grinste. Dann warf sie sich auf ihren großen Bruder, der rücklings in Wasser fiel.
Als er prustend wieder auftauchte, lachte Rebecca. „Reingefallen!“
Jona saß immer noch der Schock im Nacken. Er kniete sich neben Rebecca und nahm ihre Hand. „Hey, das ist nicht lustig. Ich hab mir Sorgen gemacht.“
„Sorry.“
„Alles gut. " sagte Jona. „Mach's einfach nicht nochmal, okay? "
Rebecca nickte. Jona nahm sie in den Arm. Am liebsten würde er sie nie wieder loslassen.
„Aber Jona?“
Sie schaute ihn ernst an.
„Ja?“
„Du kannst mich nicht mehr beschützen. Es ist zu spät, um irgendetwas zu ändern. Und Mama und Papa sind besorgt genug. Ich brauche wen, bei dem ich mehr als nur krank und fragil bin. Kaum jemand traut sich, mich nur anzufassen, als würde ich durch eine einzige Berührung umfallen. Und ich hab genug davon. Ich bestehe nicht aus Glas. Bitte hör auf, dir ständig Sorgen zu machen.“
Jona seufzte. „Das ist leicht gesagt, aber-"
„Kein Aber. Sei einfach so wie vor der Diagnose.“
Ihr Tonfall ließ keinen Raum für Widerspruch.
„Ich versuch’s.“ sagte Jona.
„Danke.“
Rebecca schaute wieder nach oben.
„Da ist Pegasus. " sagte sie leise. „Versprichst du mir, immer an mich zu denken, wenn du ihn siehst? " Sie streckte ihren kleinen Finger aus. Jona wusste, er würde jeden Tag an Rebecca denken. Dazu brauchte er kein Sternbild. Aber er verhakte Rebeccas kleinen Finger mit seinem und lächelte warm.
„Versprochen.“
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