Perfekt
Meine linke Hand zittert, während ich mit der Rechten den Zettel umklammere, der für alles verantwortlich ist. Alles hier ist so gezwungen sauber, geordnet als wolle der vollkommen weiße Raum mit den vollkommen weißen Menschen mir vorschreiben, was ich zu fühlen habe.
Mein Herzschlag beruhigt sich nicht und Schweiß tropft mir von der Stirn, weil ich so weit gerannt bin, dass mein Hemd nun an meinem Körper klebt. Hätte ich bloß das Auto gehabt. Hätte ich es bloß nicht verkauft für diese neue Grafikausrüstung. Ich wäre mit dem Auto viel schneller bei ihm gewesen.
Diesen, wie jeden anderen Morgen, hatte ich Simon in die Schule gebracht und mich dann an meinen Schreibtisch im Großraumbüro gesetzt. Das Logo „Wir machen die Menschheit perfekt“ hatte mich sofort mit seinem grellen Licht geblendet und wie üblich hatte das Warnsignal aufgeleuchtet um mir zu signalisieren, dass die Technik nicht in meinen entworfenen Roboterkörper passen würde.
Um halb zwölf war mein Chef hereingekommen, hatte sich über die fehlende Ästhetik beschwert und war wieder zu seiner Affäre verschwunden. Es war kurz vor Feierabend, dass ich ein neues Projekt begann und rein aus Protest von unseren Vorschriften abwich. Ich machte die Hände zu Füßen, tauschte Beine durch Kugeln und setze Hals über den Kopf. Als ich die Übergänge beendet hatte, fiel mir eins auf. Das Warnsignal blinkte nicht.
Das furchtbar enttäuschte Gesicht meines Sohnes sah ich erst am Abend per Videoanruf, als er sich an unsere Nachbarin Lotta kuschelte. „Darf ich das Bild sehen? Das Bild vom dem perfekten Roboter?“, hatte er gefragt und ich hatte es in die Kamera gehalten. Müde hatte er es betrachtet und ich hatte ihm hoch und heilig versprochen zum Frühstück wieder da zu sein. Wie hätte ich ahnen können, dass mich Lottas panische Stimme nur wenige Stunden später am Telefon Kilometer für Kilometer jagen und irgendetwas über ein Messer murmeln würde?
Ich folge dem weißen Mann durch die weißen Flure wie in Trance, bis ich Simon sehe. Sehe, dass es ihm gut geht und dann habe ich ihn schon hochgehoben und an mich gedrückt. „Es tut mir leid Papa.“, schnieft er. Ich setze ihn auf den Untersuchungstisch zurück und drücke seine Schultern. „Was wolltest du tun?“ Das Stück Papier ist mir auf dem Boden gefallen und ich hebe es auf, doch Simon nimmt es mir aus der Hand und faltet es auseinander. Mein erster Entwurf, der ab morgen in Produktion gehen soll. „Ich wollte so perfekt sein wie er.“ Dieser Satz nimmt mir den Boden unter den Füßen. Augenblicklich zerreiße ich das Papier, lasse es wie Konfetti über Simon regnen und dann schaue ich ihm tief in die großen Kinderaugen um sicherzugehen, dass er mir jetzt genau zuhört. „Für mich bist du perfekt, mein Sohn.“
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