Planänderung
Herr Mut betrat - wie so oft - enttäuscht das kleine Wohnzimmer der Familie. Seine Gemahlin, Frau Unmut, stand einstweilen in der gerade frisch renovierten Einbauküche, bereitete das Abendessen zu und wandte sich zu ihm. „Nichts als Ärger … dieser kleine Junge. Nichts als Ärger!“, warf Frau Unmut in den Raum. Plötzlich ein lautes Geräusch vom Dachboden. „Ha! Jetzt entkommst du mir nicht mehr!“, schrie der Mann, während er rasch einen Fuß nach dem anderen die Treppe hinaufsetzte. Hinter ihm her seine Frau, die in der Küche alles stehen und liegen gelassen hatte, um das Spektakel, welches sich gleich zutragen würde, nicht zu versäumen. Die alte Tür zum Dachboden, der von der Familie hauptsächlich als Abstellplatz genutzt wurde, flog auf. Zwischen braunen Kartons, altem Vorhangstoff, Partystühlen und jeder Menge Scherben saß der kleine Übermut, der seinem Namen hier nur gerecht wurde. Gerade hatte er noch mit seinem Vater, Herrn Mut, im Teich die kleinen orange-weiß gefleckten Goldfische bewundert und schon saß er auf dem Dachboden und schmiss alles um sich, was er in die Hände bekam. Halb in Ohnmacht fallend stand Frau Unmut da, denn ihr kleiner süßer Junge war gerade dabei, Teller für Teller des teuren Porzellangeschirrs, auf das sie seit zehn Jahren gespart hatte, innerhalb einer Sekunde voller Wucht gegen die Wand zu schmettern. Weitere fünf Sekunden waren das Todesurteil für fünf goldverzierte Teller, die, in all ihre Einzelteile zerlegt, reglos neben der Wand liegen blieben. Dabei hatte sie sich doch extra die Mühe gemacht, alles schön und sorgfältig zu verpacken, damit genau dieses Horrorszenario nicht eintreten würde. Damit nicht ihr ganzes Erspartes so enden musste. Am Boden zerstört verließ Frau Unmut wortlos den Raum und schlug die Tür zum Tatort hinter sich zu. Einstweilen bahnte sich Herr Mut seinen Weg durch den von Scherben bedeckten Dachboden. Vorsichtig hob er den fünfjährigen hoch und atmete laut aus. „Warum muss das denn immer sein?“, fragte der Vater den kleinen Übermut. „Ich wollte doch nur Spaß haben und etwas mit meinen Händen machen. Die ganze Zeit darf ich immer nur schauen und ja nichts berühren. Das ist einfach nur langweilig.“ Von einem Gedanken gepackt, lief Herr Mut mit seinem Sohn auf dem Arm hinunter auf die noch sehr karge kleine Terrasse des Hauses und setze ihn dort ab. Fünf Minuten später erschien der Vater mit einem großen Sack Scherben, die er gerade vom Dachboden geholt hatte, und jeder Menge Gips, Lehm und Eimern. „So, wir verschönern jetzt mit diesen teuren Scherben unsere Terrasse, damit wir sie wenigstens immer sehen können!“
Und während Herr Mut und der kleine Übermut mit viel Freude bei der Arbeit waren, saß Frau Unmut noch immer sprachlos in ihrem Zimmer und sah keinen Sinn mehr im Leben.
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