Porzellan
Auf der Welt gibt es ein Land
in dessen Stadt schlängelt sich eine Straße an einem Fluss entlang.
Vorbei an Kunst, Leben, einem kleinen Bäcker und einem geschlossenen Restaurant.
Dort sitzt ein Haus zwischen anderen
in dem deine Tür steht, die zu deiner Wohnung führt.
In der Wohnung gibt es Zimmer, eines davon ist deine Küche.
Darin stehen Schränke mit verschiedenen Inhalten.
Individuen, aneinander, aufeinander, ineinander.
Ich öffne den Schrank mit dem Porzellan.
Es ist so weiß.
So zart, so rein.
Und ich habe das Gefühl, ich sollte es nicht nehmen.
Also öffne ich den nächsten Kasten und hole mir etwas Robustes, auf dem ich heute essen werde.
Eine Woche später sind alle Schränke offen, ich suche etwas, aber weiß nicht genau was.
Das Porzellan sieht mich mit großen, geschminkten Augen an. „Du suchst nach mir“, sagt es.
Ich strecke meine Hand nach der feinen elfenbeinfarbenen Haut aus. Sie ist kühl und doch weich und ich weiß, sie ist wertvoll.
Sie zu zerbrechen wäre zu riskant. Ich schließe vorsichtig wieder die Schranktür, das Porzellan verabschiedet mich mit einem leisen traurigen Klirren seiner wunderbaren Flügel. Sie ähneln jenen von Libellen.
Wenn Libellen sterben, denke ich, dann werden sie zu Porzellan und ich erinnere mich daran, wie ich als Kind einmal eine Libelle sah, der ein Flügel fehlte. Der Anblick war schrecklich, diese vollkommene Schönheit, für die dieses Tier geschaffen war, fehlte und man sah jetzt auf einen hässlichen asymmetrischen Insektenkörper, anstatt von Eleganz und Glanz bezaubert zu sein.
Ich nehme mein Butterbrot und bin froh, es nicht auf Porzellan zu essen.
Und ein bisschen wehmütig.
Heute Nacht bin ich aufgewacht, nachdem die Welt aufhörte, Geräusche zu machen, aber bevor die Sonne anfing, den Horizont hochzuklettern.
Ich stieg lautlos aus dem Bett, du brauchst Schlaf.
Ich stehe in der Küche und schaue auf den Kasten mit dem Porzellan.
Die Schranktür ist kalt, so spät in der Nacht und ich höre es erwartungsvoll atmen.
Es glänzt so wunderschön im schwachen blauen Licht, das der Mond durch das Fenster schickt.
Als ich es berühre, fängt es an zu singen. „Bitte geh nicht.“
So hole ich ein Stück nach dem anderen aus dem Schrank und stelle es zärtlich auf den Tisch im Wohnzimmer.
Den Rest der Nacht höre ich gebannt die Lieder an, die mir das Porzellan erzählt. Alles, was ich verstehe ist, wie einsam es ist.
So wurde das blaue Licht auf dem Porzellan immer heller und meine Lider immer schwerer.
„Was machst du denn da?“, fragst du schmunzelnd, als du schlaftrunken aus deinem Zimmer kommst und mich da liegen siehst, wie ich mit einem Porzellanteller in der Hand auf dem Sofa eingeschlafen war. Ich schrecke auf und das Porzellan rutscht mir aus der Hand, fällt auf den Boden und vertausendfacht sich.
Schuldbewusst sehe ich zu dir auf.
Deine Augen sind blau, sie glänzen in ihrem eigenen Licht.
Als du mich auf die Stirn küsst, hätte ich schwören können, dass eine Libelle an mir vorbeiflog und ihre zarten Flügel mich berührten.
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