Recht nächtliches Wien
„Geh bitte, stellan Sie sich doch nit so oan!“, tobt sie provokant gegen die eben ins Schloss gefallene, mit einem Riegel verbarrikadierte Türe. Die Hände verkrampfend geballt gen nächtlich trostloses Himmelszelt emporgereckt, das Gesicht wutentbrannt, die Augen vor Zorn leuchtend und die Stimme offenbar bereits wund.
Sie, Anne-Lies Wolf, wagte mit einem der zur Beruhigung dienenden Seufzer den Blick zum wolkenverhangenen Horizont. Der Himmel über Wien. Eingekesselt von den beengenden, blassgrauen Hausmauern. Jene Fassaden, die einst hell strahlten. Die, die die ehemalige Machtstellung ihres geliebten Heimatlandes bezeugt hatten. Gekünstelt zierend umrahmen sie die Stadt, verdecken gekonnt das von Sternen erleuchtete Dach der Welt, untermauern die Düsterheit des sich abspielenden Szenarios, verweisen darauf, wie gut doch früher alles war.
„Und alles valorn, nur wegen den deppaten Ausländern. Zruck zu die eigenen Leit solltens.“, schoss es ihr sogleich durch den Kopf. Ihr Gedankenstrudel kreiselte gekränkt um „Die, die für sie alles schlimmer machten“, die die seit Jahren um Schutz ansuchen und denen der Hass entgegenschwappt, vertrieben, noch immer gehetzt. Mit dem zerfressendem Hass im Bauch schweiften die Gedanken weiter zum Wirt, welcher sie kurz zuvor hochkant des „Wiener Adlers“ verwiesen hatte. „Schleich di mit deine Ansichten von 1933. So was duld i ba mir nit“, hatte sich jeder ihr mit den Händen in der Hüfte, den Blick von Unverständnis als auch Bedauern getrübt, entgegengestellt.
Nun lehnte er, Franz Winkler, seit einigen Minuten kopfschüttelnd an seiner Pforte, getrennt von der griesgrämigen Wiener Seele. Beängstigt. So vermochte er sich zu fühlen. Von einer älteren Frau, die ihr rechtes Gedankengut nach zwei Achteln Wein zu propagieren begann. Kein Funken Reue zeigte sie über vergangene Zeiten, die Menschen, teils Monster, aus dem ihrigen Ursprungsland, welche mittels atemraubenden Grauen vergangene Tage in die schwärzesten Kapitel der Nationalgeschichte eingehen ließen. Unbegreiflich grausam, erschreckend heimtückisch, schier unmenschlich.
Er lauschte nochmals hinaus, hörte sie schwer atmend und stampfend vor seinem Einlass und wollte sich sogleich zum Gehen wenden, als die Frau erneut lauthals aufbrauste: „Bitte gorsch, koane Haltung hoben´s mehr die Jungen!“ hallte es hohl durch die spärlich beleuchtete Gasse. Im nächsten Moment war ein abruptes Fensteröffnen zu vernehmen, es folgte ein genervtes „Du Wappla, geh bitte! Schleich di!“, bevor ein dumpfer Knall Wien zum Schweigen brachte. Während sich die taumelnden Schritte auf dem Gehsteig entfernten, nahm die laue Nacht seinen weiteren Lauf und bangte wie einst, als die Nationalsozialisten im Dunkel ihre Taten planten, wie zu Zeiten, wo Gastarbeiter unsere Kultur bereicherten und Jähzorn ernteten, wie heute und gestern, wo Anne-Lies mit Fremdenhass und Rassismus die Wiener Luft durchbricht, um friedlichere Zeiten.
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